Dr. Sonja Dörfler, Familiensoziologin an der Universität Wien
Kinderbetreuung
Massiver Mehrbedarf an Betreuungsangeboten
Familiensoziologin Sonja Dörfler fordert niederschwellige und leistbare Ferienbetreuung
Die letzten Wochen waren speziell für Familien eine große Belastung, da Schulen und Kindergärten coronabedingt nur für den Notbetrieb geöffnet waren und Kinder daher zuhause betreut werden mussten. Familiensoziologin Dr. Sonja Dörfler erklärt im Gespräch mit oegb.at wie sich die Situation auf Eltern und Kinder ausgewirkt hat, wie es die Arbeitsverteilung zwischen Müttern und Vätern beeinflusst hat und welche Maßnahmen es jetzt dringend braucht.
Frau Dörfler, wie haben Familien die letzten Wochen während der Corona-Krise erlebt?
Grundsätzlich haben sehr viele ÖsterreicherInnen massive Einkommenseinbußen durch Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit. Die finanziellen Probleme verursachen Stress und belasten die ganze Familie. Es gab auch Anzeichen, dass die häuslichen Gewalt während dieser Zeit angestiegen ist.
Gleichzeitig mussten Eltern von einen Tag auf den anderen die Kinderbetreuung und Bildungsarbeit übernehmen. Es gab zwar den Notbetrieb an Schulen und Kindergärten, aber es wurde den Eltern signalisiert, dieses Betreuungsangebot nur als allerletzte Möglichkeit in Anspruch zu nehmen.
Was hat das konkret für die Kinderbetreuung bedeutet?
Aktuelle Umfragen zeigen, dass der er Zeitaufwand für Kinderbetreuung durch die Eltern massiv angestiegen ist – besonders für Frauen. Viele Frauen und auch einige Männer mussten ihre Arbeitszeit reduzieren, um die Kinderbetreuung überhaupt stemmen zu können.
Es hatte den Anschein, dass die Politik die Verantwortung für die Kinder bzw. die Betreuungsfrage einfach in den privaten Bereich, auf die individuelle Ebene abgeschoben hat.
Gleichzeitig fragen sich viele Eltern, ob der Shutdown der Schulen und Kindergärten wirklich notwendig und gerechtfertigt war. Es gibt hier bisher keine konkreten Studien, die zeigen, ob sogenannte „Corona-Cluster“ hier überhaupt entstehen hätten können.
Es hatte den Anschein, dass die Politik die Verantwortung für die Kinder bzw. die Betreuungsfrage einfach in den privaten Bereich, auf die individuelle Ebene abgeschoben hat. Anerkennung gab es dafür keine, es wurde als selbstverständlich angenommen.
Es gibt zwar Verständnis, dass die Politik aufgrund der Schnelligkeit der Entwicklungen rasch reagieren musste. Für die Zukunft und eine etwaige zweite Wellen der Corona-Pandemie fordern Eltern allerdings konkrete Konzepte.
Wie kamen Eltern und Kinder mit dem Homeschooling zurecht?
Das war natürlich je nach Familie unterschiedlich. Da spielen viele Faktoren wie der soziale Background, technische Voraussetzungen oder auch sprachliche Barrieren eine Rolle. Viele Kinder haben sich bereits davor in der Schule sehr schwer getan und sind jetzt während der Corona-Krise weiter zurückgefallen. Vor allem Volksschulkinder hinken schnell beim Lesen, Schreiben und Rechnen hinterher. Ein Viertel aller SchülerInnen war beispielsweise in den ersten Wochen für die LehrerInnen überhaupt nicht erreichbar.
Selbst bei idealen Familiensettings, wo sich alle gut verstehen und miteinander auskommen, wurde die Situation für Eltern und Kinder nach ein paar Wochen enorm belastend und stressig.
Wie haben Sie die hier die Arbeitsteilung von Müttern und Vätern wahrgenommen?
Männer, die im Homeoffice gearbeitet oder wegen Kurzarbeit mehr Zeit zuhause verbracht haben, haben teilweise zum ersten Mal in ihrem Leben einen größeren Teil der Kinderbetreuung übernommen. Der Großteil der Kinderbetreuung wurde allerdings, wie auch bereits davor, von den Frauen gestemmt. Mittlerweile sind die meisten Männer wieder zurück im Büro, während viele Frauen nach wie vor zuhause sind.
Männer, die im Homeoffice gearbeitet oder wegen Kurzarbeit mehr Zeit zuhause verbracht haben, haben teilweise zum ersten Mal in ihrem Leben einen größeren Teil der Kinderbetreuung übernommen.
In Krisenzeiten ist es meist so, dass sich eher die Frauen aus der Arbeitswelt zurückziehen, um sich um Kinder zu kümmern. Das sieht man auch jetzt. Männer haben nach wie vor oft den „wichtigeren“ Job mit einem höheren Gehalt – Frauen kümmern sich um Haushalt und Kinder. Das ist allerdings ein gefährlicher Rückschritt zu alten Rollenbildern. Frauen brauchen also gerade jetzt aktive Unterstützung, um diesen Entwicklungen gegenzusteuern.
Was braucht es also Ihrer Meinung nach, um Eltern und speziell Frauen zu entlasten?
Die Sommerferien stehen vor der Tür. Viele Eltern haben in den letzten Wochen Urlaub vorziehen müssen, um ihre Kinder zu betreuen, und daher keine freien Tage mehr übrig. Vor allem Frauen haben Angst um ihre Jobs, denn die Arbeitgeber wollen Sicherheit, dass sie in die Arbeit kommen können.
Gleichzeitig machen sie sich große Sorgen, wie auch aktuelle Umfragen zeigen, wer sich dann um ihre Kinder kümmern wird. Es gibt keine Planungssicherheit und niemand weiß welche Betreuungsangebote es überhaupt geben wird. Fix ist allerdings, der Run auf Kinderbetreuungsangebot wird größer sein als je zuvor, auch weil Großeltern als Betreuungspersonen nach wie vor ausfallen. Es braucht daher dringend eine Erweiterung des Angebots.
Niemand weiß, welche Betreuungsangebote es in den Ferien überhaupt geben wird. Fix ist allerdings, die Nachfrage wird größer sein als je zuvor.
Eine noch höhere Arbeitslosigkeit muss unbedingt vermieden werden. Es ist daher notwendig endlich ein Zeichen zu setzen, dass man Familien und speziell Frauen, hier nicht allein lässt.
Es braucht jetzt schnelle, niederschwellige und leistbare Lösungen für die Ferien. Wenn die Politik hier jetzt nicht investiert, kommen die Kosten später auf uns zu. Betreuungsangebote zu schaffen, ist eine Investition in die Zukunft.
Die Gewerkschaftsfrauen setzten sich für eine flächendeckende und leistbare Ferienbetreuung für alle Kinder in ganz Österreich ein, um Eltern und speziell Frauen zu entlasten.