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ÖGB-Bildarchiv

Alfons Petzold

Lehre und Ausbildung

Grischbinkerl und Blutgruben

Alfons Petzold – vom Lehrling zum Arbeiterdichter

„A so a Grischbinkerl wü a Bäck werdn“, lachten die Bäckergehilfen über ihren neuen Lehrling Alfons Petzold. Am 24. September 1882 in eine Wiener Familie geboren, in der es nie genug zu essen gab, suchte seine Mutter für ihn einen Lehrberuf, in dem er der Lehrherr ihn versorgte. Mit 14 Jahren begann er eine Lehre bei einem Silberschmied, er bekam aber eigener Aussage zufolge nur eine Handvoll Grammeln und ausgesottenes Pferdefleisch zu essen, nicht genug, um den schwächlichen Jugendlichen zu ernähren. Auch der nächste Lehrherr, ein Schuhmacher, versprach Kost und Logis, vorgesetzt wurde Petzold aber dünner Kaffee, steinhartes Brot, Wassersuppe mit Abfallfleisch. Beschwerte er sich, musste er hungrig schlafen gehen. Die Gesellen malträtierten ihn, rissen ihm das Hemd herunter, schlugen ihn mit Hosenriemen, beschütteten ihn mit Bier an oder verbrannt ihn mit Zigaretten. Er floh zurück nach Hause, zu seiner Mutter. Der Vater war schon im Siechenhaus. 

Petzold entdeckte seine schriftstellerische Gabe. Er schrieb sein erstes Gedicht, eine Lobeshymne auf den antisemitischen Wiener Bürgermeister Karl Lueger. „Ich glaubte in meiner jugendlichen Unschuld und Verblendung und in völliger Unkenntnis sozialer wie politischer Tatsachen im Antisemitismus die Heilslehre für uns Arme zu erblicken“, schrieb Petzold in seinem 1920 erschienen autobiographischen Roman „Das raue Leben“. Die Nationalsozialisten würden diesen Roman umschreiben und für ihre Zwecke missbrauchen.

Liebgewonnene Lehrstelle

Wieder fand seine Mutter eine Lehrstelle für ihn, in einer Chirurgischen Instrumenten- und Bandagenfabrik und er fühlte sich wohl, aber die Entlohnung war gering. Seine Mutter schrubbte tagsüber Böden und arbeitete als Haushaltshilfe. Nachts strickte sie in Heimarbeit Strümpfe. Trotzdem stand nie genug zu essen auf dem Tisch. Die Kräfte der Mutter schwanden und Petzold musste seine „liebgewonnene Lehrstelle“ aufgeben. Ein Bettgeher verhalf ihm zu einem Arbeitsplatz auf einer Baustelle. Trotz der Rohheit der Bauhandwerker blieb er wegen des relativ guten Lohnes – bis er zusammenbrach. Er litt an der „Wiener Krankheit“, der Tuberkulose. Kaum verbesserte sich sein Zustand, suchte seine Mutter einen anderen Lehrplatz für ihn. Diesmal fiel die Wahl auf eine Weiß- und Schwarzbäckerei – schließlich gäbe es hier genug zu essen.

Am ersten und einzigen Arbeitstag als Bäckerlehrling stand er alleine zwischen Bottichen, Tischen, Trögen und Reibmaschinen, fühlte sich alleingelassen und traute sich am Abend kein Licht zu machen. In dieser Einsamkeit schrieb er sein zweites Gedicht.

Bäckerlehrling führt das Gebäck aus. (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)

Der Unfall

In den frühen Morgenstunden kamen die anderen Lehrlinge und die Bäckergehilfen. Er musste um zwei Uhr morgens Teig kneten, durfte nur kurz ausruhen, bis der Ruf des Lehrherren ihn um vier Uhr morgens vom schmutzigen Strohsack auf die Straße trieb. Mit Körben voller frischen Gebäcks rannte er von einem Geschäft zu nächsten, dann musste Brot auf ein Fuhrwerk verladen werden, er auf den Kutschbock klettern. In wilder Hast sprang er vom Wagen, trug das Brot in Läden und sprang wieder auf, um weiter zu hetzen – bis er sich mit einem Bein im Wagenrad verfing und er mit schweren Quetschungen am Oberschenkel zu seiner Mutter gebracht werden musste.

Couplets für Volkssänger

Die Not der Familie wuchs, sie mussten ihre wenigen Habseligkeiten an einen Trödler verkaufen, die Mutter begann zu trinken, Petzold versuchte sich als Kellnerlehrling, arbeitete in einer Stiefelschmier- und Wichsefabrik, in einer Kunstblumenfabrik – verdiente aber nie genug um satt vom Tisch aufzustehen. Aber, er begann zu lesen, lieh sich Bücher aus der Volksbibliothek aus und schrieb Couplets für Volkssänger zu schreiben und trat auch selbst auf. Erstmals verdiente er gutes Geld.

Seine sozialkritische Ader war erwacht, er wusste aber noch wenig vom Sozialismus. Das änderte sich, als er begann, zu den Versammlungen Jugendlicher Arbeiter zu gehen und Gewerkschaftspublikationen zu lesen. Eine neue Welt entstand für ihn, in der er „Mensch sein darf und kein Zugtier unter Zugtieren“.

Ein Gedicht von Alfons Petzold aus dem Jahr 1917 (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)

ArbeiterInnennot

Statt Lobeshymnen auf Antisemiten schrieb er nun über die Not der ArbeiterInnen. Er wurde Sozialdemokrat, verteilte im Jahr 1900 Wahlwerbung für die Gemeinderatswahlen und wurde wegen Staatsgefährlichkeit verhaftet. In der Zelle kritzelten er und seine Mithäftlinge auf Papier - „Wählt Franz Schuhmeier“ – und warfen die „Wahlwerbung“ durch das Zellenfenster auf die Straße hinaus. Am Abend hörten sie die Rufe: „Hoch Schuhmeier, Sieg, Sieg, hoch die internationale Sozialdemokratie.“ Schuhmeier hatte gewonnen, er saß nun im Wiener Gemeinderat, Petzold aber immer noch im Gefängnis. Nach seiner Freilassung kündigte ihm sein Arbeitgeber fristlos. Er habe gegen die Arbeitsordnung verstoßen: Kein Arbeiter durfte einer politischen oder gewerkschaftlichen Organisation angehören.

Bankrotteur der Gesellschaft

Im Jahr 1902 überrollte ein Fuhrwerk seine Mutter und sie starb an den Folgen der Verletzungen. Da war er 20 Jahre alt, litt an Tuberkulose, war arbeits- und obdachlos. Petzold schrieb über diese Zeit, er sei ein „Bankrotteur der Gesellschaft“ gewesen, der in schmutzigen Obdachlosenasylen, im Wiener Kanalsystem oder in Luftschächten schlief, sich von Abfällen der Gemüsemärkte, der Fischstände und Metzgerhütten ernährte, bis ein Freund ihn fand, ihm Essen und Unterkunft gab und ihm einen Arbeitsplatz als Packer in einer Schokoladen- und Biskuitfabrik verschaffte.

Petzold war seiner Arbeit gegenüber gleichgültig geworden. Aber es dauerte nicht lange, bis sein Kampfgeist wieder erwachte, nachdem er beobachtete, wie Vorgesetzte ArbeiterInnen verspotteten und misshandelten. Mit einem Kollegen sprach er über einen möglichen Streik. Dieser erklärte ihm jedoch, dass der Direktor die ArbeiterInnen stetig austauschte, so konnte kein Meinungsaustausch entstehen, keine Gespräche über ihre Notlage. Der Hunger hatte sie gelehrt, zu schweigen. Jeder Streik würde vom Hunger gebrochen: kein Lohn, kein Brot.

Schließlich verließ er die Fabrik und begann, als Hausknecht in einem Kartonagenbetrieb zu arbeiten. Es ging ihm nun gut, er hatte Geld, Unterkunft und Essen, bis er eines Tages unvermittelt mit einer Herzbeutel- und Rippenfellentzündung im Krankenhaus erwachte. Im Nachttisch lag das Entlassungsschreiben.

Archiv proletarischer Armut

Der „Bluthuster“ Petzold war wieder arbeitslos – und fand die Zeit, in seinem Kopf ein „Archiv proletarischer Armut“ anzulegen. Bald ereilte ihn die Rettung in Form eines Burgschauspielers: Eine Baronesse, die bei einem seiner Abende um eine Abschrift seiner Gedichte gebeten hatte, hatte diese an einen Burgschauspieler weitergegeben. Der stand nun an Petzolds Krankenbett und bot ihm Geld für sein Werk. Später organisierte er ihm einen Platz in der einer Lungenheilanstalt, wo sich Petzold erholten konnte.

Im Jahr 1910 half ihm der Dichter und Bildungsfunktionär der Arbeiterbewegung Josef Luitpold Stern bei der Publikation seines ersten Gedichtbandes „Trotz alledem!“. Es sollte dies das erste von fast 40 Büchern sein, die während seiner Lebenszeit veröffentlicht wurden. Nicht das gesamte Werk Petzolds besteht aus Arbeiterdichtung, so verstieg er sich im ersten Kriegsjahr 1914 vor lauter Kriegsbegeisterung in Gewaltphantasien. Dennoch ist sein Wirken als Arbeiterdichter, unbestritten.

Am 25. Jänner 1923 stirbt er mit nur 41 Jahren.

Dieser Text erscheint demnächst im Buch zur Geschichte der Lebens- und GenussmittelarbeiterInnen. Vielen Dank an die PRO-GE für die Erlaubnis, den Text vorab zu veröffentlichen.