Solidarität
Gesund bis zur Pension: Wie schaffen Frauen das?
Was bedeutet die Erhöhung des Frauenpensionsalters für Frauen, die in körperlich belastenden Berufen arbeiten? Wie kann und muss die Politik reagieren? Wir haben die Antworten.
In Österreich wird das Pensionsantrittsalter für Frauen bis 2033 schrittweise auf 65 Jahre angehoben. Diese Anpassung erfolgt in Halbjahresschritten. So können Frauen, die zwischen dem 1. Juli 1964 und dem 31. Dezember 1964 geboren sind, seit dem 1. Juli 2024 erst mit 61 Jahren in den Ruhestand gehen.
Beschlossen wurde die schrittweise Angleichung des Regelpensionsalters schon 1992 mit einem Bundesverfassungsgesetz im Nationalrat. Die Angleichung an das Pensionsantrittsalter der Männer ist für Frauen in körperlich anstrengenden Berufen aber eine große Herausforderung. Denn bereits vor dieser Angleichung ist jede dritte Frau nicht aus der Erwerbstätigkeit heraus in Pension gegangen, bei den Arbeiterinnen sogar nur jede zweite. Der Hauptgrund dafür sind Arbeitsbedingungen, die weder alterns- noch altersgerecht sind. Frauen in der Pflege, der Industrie oder der Reinigung arbeiten oft unter hoher körperlicher Anstrengung.
ÖGB-Vizepräsidentin und Frauenvorsitzende Korinna Schumann betont, dass bereits jetzt schon viele Frauen Schwierigkeiten haben, bis zum 60. Lebensjahr zu arbeiten. Eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters scheint da kaum vorstellbar.
Arbeiten bis 60: für viele schon unmöglich
Dass viele Arbeitnehmer:innen aktuell nicht bis 60 und schon gar nicht bis 65 arbeiten können, verdeutlicht der Rückgang der Erwerbsquote bei älteren Arbeitnehmer:innen: Von Frauen, die etwa zwei Jahre vor dem gesetzlichen Pensionsalter (aktuell 61) stehen, sind nur 70,7 Prozent in Beschäftigung, bei Männern (Pensionsantrittsalter 65) sind es gar nur 45,9 Prozent.
Einen noch drastischeren Rückgang gibt es bei jenen, die zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter direkt von der Erwerbstätigkeit heraus in den Ruhestand gehen – aktuell sind das 41,3 Prozent der Frauen und sogar nur 21,6 Prozent der Männer. Klar ist also: Die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden, damit Arbeitnehmer:innen – sowohl Frauen als auch Männer – gesund bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter arbeiten können.
Gelingt es, die Beschäftigung von älteren Menschen zu erhöhen, spart der Staat bis 2035 laut Berechnungen des Momentum Instituts 57 Milliarden Euro.
So geht Arbeiten im Alter
Mehr Gesundheitsmanagement, alternsgerechte und altersgerechte Arbeitsplätze sind nötig, damit mehr Beschäftigte körperlich und psychisch in der Lage sind, bis ins höhere Alter zu arbeiten. Und Arbeitgeber müssen vor allem jenen, die Schwerarbeit verrichten, ermöglichen, weniger belastende Tätigkeiten auszuüben.
In der Praxis kann das so aussehen: Die Leitung eines Pflegeheims stellt sicher, dass in jeder Schicht sowohl junge als auch ältere Mitarbeiter:innen zusammenarbeiten. Dabei wird darauf geachtet, wie fit und erfahren die Mitarbeiter:innen sind. Wenn jemand kurzfristig ausfällt, regeln die Teams das selbst, außer es gibt einen Konflikt. So können die Älteren von der körperlichen Fitness der Jungen und die Jungen von der Erfahrung der Älteren profitieren. Wie in der Pflege wird auch in der Industrie der Rücken stark beansprucht, was zu vermehrten Krankenständen führt – gerade bei Mitarbeiter:innen, die über 50 Jahre alt sind.
Deshalb macht es jedenfalls Sinn, sich die Arbeitsorganisation und -abläufe unter Einbeziehung des Betriebsrats genau anzusehen. Oftmals sind es nur kleine Änderungen wie die Anschaffung eines Hubwagens, die dafür sorgen, dass niemand schwer heben muss; oder Rotationsmodelle, die dafür sorgen, dass nicht immer die gleiche Tätigkeit ausgeübt wird.
Das Pensionssystem ist sicher
Obwohl das Frauenpensionsantrittsalter gerade angehoben wird, taucht in den Medien in unregelmäßigen Abständen die Forderung nach einer weiteren Anhebung des allgemeinen Pensionsantrittsalters – also für Männer und Frauen – zum Beispiel auf 67 auf.
Das Argument der Befürworter:innen: Das System wäre sonst nicht mehr finanzierbar. Doch der aktuelle EU-Ageing-Report widerlegt das ganz klar. Die Kosten für das öffentliche Pensionssystem gemessen am Bruttoinlandsprodukt steigen bis zum Jahr 2070 nur sehr moderat auf 14 Prozent an. Und das, obwohl sich die Altersstruktur – mit deutlich mehr älteren Menschen – verschieben wird.
Die langfristige Finanzierbarkeit des österreichischen Pensionssystems ist laut diesen Daten also sicher.
Nachtarbeit ist Schwerarbeit: Beschäftigte in der Pflege und Betreuung müssen einen erleichterten Zugang zur Schwerarbeitspension erhalten.
Wiedereinführung eines Bonus-Malus-Systems: Unternehmen, die überdurchschnittlich viele ältere Arbeitnehmer:innen beschäftigen, erhalten einen Bonus; jene, die unter dem Branchendurchschnitt liegen, müssen einen Malus zahlen.
Zugang zu Altersteilzeit erleichtern: Der ÖGB fordert einen Rechtsanspruch auf Altersteilzeit und die Forderung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer:innen
Stärkung der Arbeitsmarktintegration durch den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen.
Bekämpfung von Langzeit- und Altersarbeitslosigkeit einschließlich innovativer Formen von Arbeitszeitverkürzungen.
Lösungen liegen auf dem Tisch
Antworten auf grundsätzliche frauenpolitische Fragen blieb die Bundesregierung auch in diesem Zusammenhang schuldig.
Wer zum Beispiel betreut Kinder oder pflegt Angehörige, wenn Frauen länger arbeiten müssen? Die aktuelle Zeitverwendungsstudie zeigt nämlich deutlich, dass es oft die Großmütter sind, die die Betreuung der Enkelkinder oder andere Pflegearbeiten übernehmen. Will man also, dass Frauen länger arbeiten, braucht es Lösungen wie einen Rechtsanspruch auf Kinderbildung ab dem ersten Geburtstag des Kindes, das ÖGB-AK-Familienarbeitszeitmodell, faire Verteilung von unbezahlter Arbeit und Erwerbsarbeit auf beide Eltern und es braucht einen massiven Ausbau von qualitativen und leistbaren Pflegeangeboten.
Nur so bekommen die Frauen in diesem Land echte Wahlfreiheit.
Das Österreichische Netzwerk für Betriebliche Gesundheitsforderung hilft bei der Umsetzung von gesundheitsfördernden Projekten in deinem Betrieb: netzwerk-bgf.at
Viele nützliche Links, Buchtipps und Praxisbeispiele und mehr zum Thema Arbeit und Alter findest du hier: arbeitundalter.at
12 Stunden waschen, pflegen, zuhören
Beatrix Eiletz, 54, Betriebsratsvorsitzende der Volkshilfe Steiermark
Die Arbeit der Pflegekräfte beginnt früh am Morgen und dauert manchmal zwölf Stunden lang. Ihre Arbeit ist körperlich und emotional anstrengend. Sie helfen Kund:innen und Patient:innen beim Aufstehen, beim Umziehen, bei der Einnahme von Medikamenten. Sie waschen und pflegen sie, halten das Umfeld der Menschen sauber und hören ihnen zu, wenn sie Sorgen und Ängste haben. „Alles muss schnell gehen, denn der Bedarf an Pflege ist hoch“, erklärt Beatrix Eiletz, die selbst viele Jahre in der mobilen Pflege tätig war und inzwischen als Betriebsrätin ihren Kolleg:innen mit Rat und Tat zur Seite steht.
Pflegekräfte müssen konzentriert und feinfühlig sein. Zeit zum Ausruhen lässt die Arbeit kaum zu, Pausen sind selten und kurz, Rückenschmerzen, Gelenkprobleme und Erschöpfung sind vorprogrammiert. Dienstplanänderungen und Einspringen kommen regelmäßig vor. „Emotionale Erschöpfung ist in der Pflege ein großes Problem, immerhin haben wir täglich mit kranken oder sterbenden Menschen zu tun. Und mit zunehmendem Alter der Pflegekräfte wird die Arbeit immer schwerer“, so Beatrix Eiletz. Sie und manche ihrer Kolleg:innen haben immer öfter das Gefühl, dass ihre Körper den Anforderungen nicht mehr lange standhalten können.
Mittlerweile brauchen sie viel mehr Zeit, um sich zu erholen. Bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter von 65 zu arbeiten, ist in der Pflege unmöglich.
Schweres Gerät mit höchster Präzision bedienen
Sabine Neunteufl, 58, Betriebsrätin in einem Spital in Niederosterreich
Jede Untersuchung erfordert höchste Präzision und Konzentration. Schon morgens sind die Geräte zu überprüfen und zu kalibrieren. Während der Schicht werden zahlreiche Untersuchungen durchgeführt: Röntgenaufnahmen, CT- und MRT-Scans. Viele Beschäftigte entscheiden sich für den Job als Radiologie-Technolog:innen, weil sie die Verbindung von moderner Technologie und medizinischer Diagnose fasziniert.
Mit zunehmendem Alter ist der Beruf aber nicht mehr nur spannend, sondern vor allem äußerst belastend. Patient:innen, die nicht mehr selbstständig mobil sind, müssen gehoben werden. Das geht auf den Rücken und die Gelenke. „Mit den Jahren wird vielen bewusst, dass es kaum möglich ist, den Job bis zum gesetzlichen Pensionsalter ausüben zu können. Der Körper signalisiert zunehmend, dass er diese Belastungen nicht mehr lange aushalten kann“, erzählt Sabine Neunteufl. So gehe es vielen Beschäftigten im Gesundheitsbereich. So sehr sie ihren Job lieben, irgendwann geht es einfach nicht mehr.
Neunteufl hat bis vor elf Jahren auch viele Stunden stehend verbracht und schweres Gerät bewegt, als Betriebsrätin ist sie heute für ihre Kolleg:innen da, die aufgrund der Belastung nicht mehr können.
Von der Wechselschicht in den Krankenstand
Brigitte Giller, 58, Betriebsrätin in einem Produktionsbetrieb in Wien
Wenn man in der Produktion arbeitet, tut man das entweder früh oder spät. In der Frühschicht beginnt der Tag oft um fünf Uhr, die Nachtschicht endet um sechs Uhr morgens. „Wechseldienstler:innen schlafen sonntags schlecht – oder gar nicht mehr. Vor allem dann, wenn sie am Sonntag mit der Nachtschicht beginnen oder am Montag Frühschicht haben. Das bringt den Biorhythmus durcheinander“, schildert Betriebsrätin Brigitte Giller den Joballtag. Industriearbeiter:innen haben dadurch auch wenig Zeit für Familie und Freunde.
Giller hat selbst 35 Jahre in der Betriebshalle hinter sich – inklusive Bedienen und Überwachen der Geräte sowie der Kontrolle der Qualität der Werkstücke. Die Arbeit in der Produktion ist anstrengend: Schwere Materialien zu heben, in unbequemen Positionen zu arbeiten und viel zu gehen, das ist der Arbeitsalltag. Auch die Psyche leidet: Die Produktionsziele müssen erreicht werden, schnelles Arbeiten ist Voraussetzung dafür. Viele von Gillers Kolleg:innen, die wenige Jahre vor der Pension sind, befinden sich in Langzeitkrankenständen.
Ein Arbeiten bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter ist undenkbar.