Kommentar des ÖGB-Chefökonomen in der PRESSE
Geben die Neoliberalen ein frivoles Zwinkern nach rechts?
Ernst Tüchler antwortet auf Franz Schellhorn
Vor einer Woche hat Franz Schellhorn an dieser Stelle (gemeint ist die Kommentar-Seite der PRESSE, Anm.) die Auffassung vertreten, dass ungeachtet der im Vergleich zum Vorjahr steigenden Verbraucherpreise Notenbanker diese als lediglich vorübergehendes Phänomen abtun. Er meint, die Inflation als ein fundamentales - nicht nur wirtschaftspolitisches - Problem stehe vor einem Comeback, und er versucht, dies mit einer Reihe von Indizien und Vorgängen zu belegen. Dazu führt er Umstände und indirekt auch Verantwortliche an.
Doch Schellhorn beschreibt lediglich Symptome an der Oberfläche, was für mein Empfinden einem frivolen Zwinkern in Richtung einer stark nach rechts abgleitenden, zunehmend nationalistischen und der Kooperation ablehnend gegenüberstehenden Gesellschaft gleichkommt. Alles zusammen, die vordergründigen Symptome, die Umstände und die "Schuldigen" dienen dazu, sowohl alles zu sagen als auch und vor allem, das Wesentliche zu verschleiern: Es geht um Regulierung! Deren Art und Umfang. Wer diese bestimmt und zu wessen Gunsten ein Regulierungssystem gestaltet ist und wer dabei unberücksichtigt bleibt. Die Preis-Lohn-Spirale in ihrer Begrifflichkeit umdeuten zu wollen, reicht bei Weitem nicht als Erklärung. Denn geht es nicht vielmehr um die Grundfesten der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, ihre Einbettung in das globale Wirtschaftssystem und dessen Systemdefizite?
Es geht um Regulierung! Deren Art und Umfang. Wer diese bestimmt und zu wessen Gunsten ein Regulierungssystem gestaltet ist und wer dabei unberücksichtigt bleibt.
Arbeitnehmer nehmen Inflation eher hin als Arbeitslosigkeit. Bislang haben die Gewerkschaften vergebens darum gekämpft, dass bei der Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion Beschäftigung bzw. Arbeitslosigkeit als Parameter bei den Konvergenzkriterien und damit bestimmender Bestandteil in der Fiskal- und Geldpolitik wird. Doch liefert das tugendhafte Trachten nach Geldwertstabilität allein keine ausreichende Erklärung der vergangenen Jahre niedriger Inflation. Wenn schon der Arbeitsmarkt als Treiber der Inflation tituliert wird, sollte die scharfe und noch immer bestehende Wohlstandsgrenze ohne grenzüberschreitend durchsetzbare Regeln zugunsten stabiler Arbeitsmärkte durchgesetzt werden.
So vorteilhaft sich für Österreich Exportwirtschaft erwiesen hat, so widersprüchlich erscheinen gegenwärtig die Ratschläge, wie Österreich über Europa den neuen globalen Herausforderungen, die den zurückliegenden Erfolg infrage stellen, begegnen soll. Und nebenbei gesagt sind die niedrigen Inflationsraten über eine lange Zeit hinweg der Globalisierung zuzuschreiben. Globale Konkurrenz hält die Preise niedrig, die Produktivität daheim zu steigern ist eine Möglichkeit, dem zu begegnen - auszulagern in Billigregionen ist eine andere. Man muss deshalb nicht gleich Paul Krugmans "Deflation Economics" überall zustimmen, wenn er damit seine Schlussfolgerungen über ein spezielles Zusammenwirken der wesentlichen wirtschaftspolitischen Hebel gezogen hat.
Ist die Party also jetzt vorbei? Im Gegensatz zur US-Notenbank hat die EZB Beschäftigung nicht als vorrangiges Ziel zu beachten. Was sie gegenwärtig macht, ist in Abstimmung mit anderen großen Notenbanken die Klärung, ab wann sie künftig gegen Inflation vorgehen wird. Das wirkt wie ein Aufschub, bevor wieder in die alte Politik zurückgekehrt wird. Auf der fiskalischen Seite werden nicht Vermögen und Steuer-Ungleichgewichte, sondern die Belange der Arbeitnehmer als Problem gesehen. Es ist nicht die Inflation, es sind die Regeln und die Art und Weise, wie sie gemacht werden. Manche, die der Inflation das Wort reden, denken, dass die neuen Regeln über Algorithmen zu binden sind und die politische Beschlussfassung automatisch erfolgen soll.