Lohnnebenkosten
Kleine Kürzung, große Folgen: Geld für 350 Ärzte würde fehlen
Schon 0,1 Prozent weniger Lohnnebenleistungen für die Krankenversicherung hätte drastische Konsequenzen für die medizinische Versorgung
Gebetsmühlenartig tragen Konservative und Neoliberale ihre Forderung nach einer Kürzung der Lohnnebenkosten vor – fast könnte man glauben, es wäre die Lösung für eh alles. Fakt ist aber: Egal wie oft man diese falschen Behauptungen wiederholt, sie werden nicht richtiger. Besonders von einer Kürzung betroffen wären Arbeitnehmer:innen, die diese Lohnnebenkosten – die eigentlich Lohnnebenleistungen sind – mit ihrem Einsatz erst erwirtschaften. Den Arbeitgebern gehört das Geld ja eigentlich nie, sie führen es nur für die Arbeitnehmer:innen ab. Aber was wären denn die Konsequenzen einer Kürzung bei den Lohnnebenleistungen? Und wo würde man es spüren?
Die massiven Folgen von „kleinen“ Kürzungen
„Die Folgen einer Kürzung bei den Krankenversicherungsbeiträgen würden die Menschen sehr rasch merken“, stellt Julia Stroj, Expertin für Gesundheitspolitik im ÖGB, klar und rechnet vor: „Aktuell fließen insgesamt 7,65 Prozent der Bruttoeinkommen in die Krankenversicherung.“ Konkret geht es um 3,87 Prozent von den Arbeitnehmer:innen und 3,78 Prozent aus den Lohnnebenkosten. „Jede Kürzung bedeutet logischerweise, dass die Krankenversicherung entweder sparen muss oder manche Leistungen gar nicht mehr oder nur mit Selbstbehalten erbracht werden kann“, erklärt Stroj. „In jedem Fall führt es zu höheren Gewinnen der Unternehmen, weil nichts anderes bringt eine Kürzung der Lohnnebenkosten“, so die Expertin. Mit den Brutto- oder Nettoeinkommen hat das also entgegen den oft aufgestellten Behauptungen gar nichts zu tun.
Die drastischen Folgen lassen sich auch mit klaren Zahlen aufzeigen: „Schon mit einer Kürzung der Beiträge der Arbeitgeber um 0,1 Prozent würden der ÖGK um 140 Millionen Euro im Jahr weniger zur Verfügung stehen – das sind ungefähr die Kosten für 350 Kassenärzte“, so Stroj, die anfügt: „Und wenn es nicht die Kassenstellen sind, dann ist es zum Beispiel die Gesundheitsförderung oder die Prävention, die leiden muss, und das hätte langfristige Gesundheitsfolgen.“
Was Gesundheit kostet
Auch alltägliche Bedürfnisse können schnell teuer werden: Bis zu 800.000 Menschen in Österreich sind zum Beispiel Diabetiker – die entsprechende Versorgung kostet jährlich rund 5.000 Euro. Bei Demenz fallen leicht 15.000 Euro pro Patient:in und Jahr für die Versorgung an. Eine Geburt schlägt sofort mit vierstelligen Beträgen zu Buche – allein die jährlich nötigen Vorsorgeuntersuchungen kosten an die 1.000 Euro. Wird man ernstlich krank, dann sind schnell viele tausend Euro an Kosten angehäuft. Steigt an einer dieser Stellen die Krankenversicherung aus, weil ihr das Geld fehlt, dann kommen Selbstbehalte – und das kann schnell teuer werden, für viele Menschen unleistbar. „Die Qualität der medizinischen Versorgung darf nicht an den persönlichen finanziellen Möglichkeiten hängen. Aber das wäre – recht rasch – die Folge von Kürzungen der Lohnnebenkosten“, warnt ÖGB-Expertin Stroj.
Die Zukunft der Krankenversicherung steht auf dem Spiel
Abseits konkreter Zahlen warnt Stroj aber auch vor einem grundlegenden Problem: „Der zunehmende demografische Wandel oder die Auswirkungen der Klimakrise sind große Herausforderungen, von denen unser Gesundheitssystem jetzt schon betroffen ist und es in Zukunft noch stärker sein wird. Damit muss allen klar sein, dass wir in Zukunft mehr und bessere Gesundheitsleistungen brauchen werden und nicht weniger“, fordert die Expertin. „Kürzungen der Lohnnebenkosten können wir uns nicht leisten, wenn wir die Gesundheit der Menschen, die Krankenversicherung und den Sozialstaat insgesamt nicht gefährden wollen“, warnt sie.
Die Beiträge der Arbeitgeber zur Krankenversicherung sind übrigens die zweitältesten Sozialstaatsbeiträge Österreichs. „Sie wurden in den Jahren 1888 beschlossen und 1889 eingeführt. Damit wurde der Grundstein unseres Sozialstaats und damit auch unseres Wohlstands gelegt. Aber schon vor mehr als 130 Jahren haben Österreichs Arbeitgeber das als unzumutbare Last empfunden“, so Stroj. Und die Arbeitgeber gibt es trotzdem – oder gerade deshalb – noch.