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ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian
Wolfgang Katzian ÖGB/ Mazohl

Interview

Wolfgang Katzian: "Uns braucht keiner zu sagen, wir seien faul“

ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian warnt im Interview mit der "Kleinen Zeitung" vor einem Sparpaket.

Keine Rede von „Sommermärchen“: Laut Wifo/IHS steht Österreichs Wirtschaft vor düsteren Monaten. Die Arbeitslosigkeit steigt weiter, auch die Staatsverschuldung. Es gibt offenbar nichts mehr zu verteilen, oder?

WOLFGANG KATZIAN: Wenn ich mir den jüngsten Dividendenbericht der AK zu den börsennotierten Unternehmen anschaue, wird 2024 ein weiteres absolutes Rekordjahr, die 6,5-Milliarden-Grenze an Dividenden wird gesprengt. So ganz schlecht dürfte es also nicht sein. Den Wirtschaftsstandort dauernd krank zu jammern, wie manche das tun, ist ein großer Schaden für den Standort.

Aber die Bedingungen für die Wirtschaft sind schwierig.

Ja, natürlich. Aber man sollte nicht so tun, als würde alles den Bach runtergehen – und nur wenn man bei den Arbeitnehmern reinschneidet, wird alles wieder gut.

Den Wirtschaftsstandort dauernd krank zu jammern, wie manche das tun, ist ein großer Schaden für den Standort. 

Wolfgang Katzian
Interview, Kleine Zeitung, 01.07.2024

Fiskalrat und Wirtschaftsforscher fordern ein milliardenschweres Sparpaket für Österreich – unterstützen Sie die Forderung?

Nein, die unterstütze ich definitiv nicht. Wir haben als ÖGB und EGB davor gewarnt, dass die scharfen Fiskalregeln der EU zu massiven Problemen in mehreren europäischen Ländern führen werden, auch in Österreich. Wir forderten, dass alle Investitionen, die weit in die Zukunft gerichtet sind, Richtung „Green Deal“, von den Maastricht-Regeln ausgenommen werden.

Aber man lügt sich doch in den Sack, wenn man solche Schulden einfach rausrechnet.

Die Frage ist, ob ich für diese Schulden die nötigen Spielräume habe. Wenn uns der Fiskalrat sagt, wir sollten fünf Milliarden Euro einsparen, frage ich mich schon, wie das gehen soll, wenn wir die grüne Transformation finanzieren und dann noch auf Einnahmen etwa aus den Lohnnebenkosten verzichten sollen, wie einige fordern. Irgendjemand wird dann auf die Idee kommen, bei den Sozialleistungen reinzuschneiden – aber dann kommt es zu einer Auseinandersetzung, die sich niemand in dem Land wünscht.

Die Griechen arbeiten im Schnitt jetzt schon am längsten in Europa und setzen nun mit der Sechstagewoche noch eins drauf. Bei uns fordert die Gewerkschaft eine Arbeitsverkürzung – sind Sie falsch abgebogen?

Das glaube ich nicht. Die griechischen Gewerkschaften bekämpfen die gar nicht so freiwillige Regelung. Und Österreich ist auf Basis der Vollzeitwochenarbeitszeit 2023 in Europa an dritter Stelle. Uns braucht also keiner zu sagen, wir seien faul.

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Die Realität ist halt, dass immer mehr Menschen Teilzeit arbeiten.

Dafür gibt es viele Gründe. Ganz viele Frauen würden gerne Vollzeit arbeiten, aber nicht in allen Bundesländern reichen die Betreuungsplätze aus. Branchen wie der Handel bietet wegen der Öffnungszeit von bis zu 72 Stunden de facto fast keine Vollzeitarbeitsplätze an.

Immer öfter klagen Unternehmer über unleistbare Personalkostensteigerungen von 20 Prozent in zwei, drei Jahren. Was antworten Sie darauf?

Nicht wir haben das verursacht, sondern die Regierung. Hätte die Regierung Maßnahmen gesetzt, damit die Inflation nicht so explodiert, hätten wir nicht so hohe KV-Abschlüsse machen müssen. Wenn sich die Industrie im Nachhinein aufregt, ist das billig und es geht ins Leere.

Nicht wir haben das verursacht, sondern die Regierung. Hätte die Regierung Maßnahmen gesetzt, damit die Inflation nicht so explodiert, hätten wir nicht so hohe KV-Abschlüsse machen müssen. Wenn sich die Industrie im Nachhinein aufregt, ist das billig und es geht ins Leere. 

Wolfgang Katzian
Interview, Kleine Zeitung, 01.07.2024

Was konkret verlangt der ÖGB in Sachen Arbeitszeitverküzung?

Wenn Sie eine Zahl hören wollen, sage ich Ihnen keine. In manchen Branchen ist die Priorität mehr auf der sechsten Urlaubswoche, in anderen bei der Viertagewoche und in anderen auf der Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Wir scheren nicht alles über einen Kamm. Aber die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bleibt auf unserer Agenda.

Der Internationale Währungsfonds IWF warnte kürzlich, dass KI zu Massenarbeitslosigkeit und leeren Staatskassen führen wird. Ist das übertrieben?

Die KI wird dazu führen, dass es eine Reihe von Berufen so nicht mehr gibt oder überhaupt nicht mehr geben wird. Am Ende des Tages, so meine Einschätzung, werden nicht genügend neue Arbeitsplätze entstehen, um das zu kompensieren. Dem müssen wir uns stellen, Vorschläge der Gewerkschaften liegen auf dem Tisch.

Stark steigende Personalkosten und hohe Lohnnebenkosten befördern den Trend zur Automatisierung.

Zeigen Sie mir einen Unternehmer, der die Chance zur Automatisierung nicht nutzt und lieber zwei Mitarbeiter behält. Man nennt das Kapitalismus – damit das nicht ausufert, gibt es uns.

Der Sommer beginnt mit Streiks bei den Fahrradboten und Speditionsmitarbeitern. Sind das bereits Vorboten für die Lohnverhandlungen im Herbst?

Das glaube ich nicht. Wir sind mit der Frühjahrslohnrunde noch nicht fertig, haben aber die großen Branchen wie Chemie- und Papierindustrie bereits abgeschlossen.

Wie lautet die Marschrichtung der Gewerkschaften in Zeiten des Nullwachstums bei den Herbstlohnrunden? Die Metaller verhandeln diesmal ja nicht.

Dass sich die Metaller auf zwei Jahre geeinigt haben, war schon sehr klug. Man hätte ein paar Tage vor der Nationalratswahl am 29. September mit Verhandlungen begonnen. Ansonsten hat sich an unserer Grundlinie, dass wir uns entlang der rollierenden Inflation bewegen, nichts geändert. Manche g’scheite Wirtschaftsforscher wundern sich ja, warum der Nachfrageboom trotz hoher Abschlüsse ausgeblieben ist. Der ist ausgeblieben, weil die Leute ein Jahr lang für Mieten, Lebensmittel und anderes mit ihrem Ersparten geblutet haben.

Die kommende Herbstlohnrunde wird einfacher als die letzte?

Ich glaube nicht, dass Lohnrunden einfacher werden – aber von der Höhe her haben Sie recht, da sind wir unter dem letzten Jahr.

Am 29. September sind Nationalratswahlen – welche Regierung wünschen Sie sich?

Wir werden ganz genau schauen, welche Positionen die Parteien zu welchen Fragen einnehmen. Wir werden konkrete Fragen stellen – und wollen konkrete Antworten, die wir dann veröffentlichen werden.

Kleine Zeitung, 01.07.2024 (S. 20)