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Österreich steht 2024 ein Superwahljahr bevor. Wer nicht wählen geht, gefährdet die Demokratie und lässt andere für sich entscheiden.

Soziale Gerechtigkeit

Demokratie, das sind wir alle!

Österreich steht 2024 ein Superwahljahr bevor. Was das für Arbeitnehmer:innen bedeutet, warum wir ein immer größer werdendes Demokratieproblem haben und was wir von anderen Ländern lernen können.

Nationalratswahl, Landtags- und Gemeinderatswahlen in mehreren Bundesländern, EU-Wahl und Arbeiterkammerwahlen: Österreich steht 2024 ein spannendes Wahljahr bevor. Für das Recht auf demokratische Beteiligung wurde lange gekämpft. Sowohl 1918 – bei der Gründung der Ersten Republik – als auch 1945, bei den ersten Nationalratswahlen der Zweiten Republik, haben Gewerkschafter:innen entscheidend an der Demokratie mitgewirkt.

ÖGB - Roland de Roo

Ich will Politik für junge Menschen

JAKOB ist vor wenigen Monaten 16 Jahre alt geworden und darf im kommenden Superwahljahr endlich mitbestimmen. Er freut sich auf seinen ersten Sonntagsausflug in eine Wahlkabine. In Jakobs Klasse in einem Wiener Gymnasium sind alle Schüler:innen zumindest 16 Jahre alt und damit alt genug zum Wählen. Fünf von ihnen sind aber keine österreichischen Staatsbürger:innen – und dürfen damit im kommenden Jahr bei wichtigen Wahlen nicht mitbestimmen.

Jakob selbst ist einer von rund 1,2 Millionen Jungwählerinnen bzw. Jungwählern (unter 30 Jahre) in Österreich, 155.000 davon sind 16 oder 17 Jahre alt, sogenannte Erstwähler:innen. Politik ist ihm wichtig. „Ich spreche mit meinen Freunden immer wieder über politische Themen, aber gelernt habe ich das ,Politisieren‘ zu Hause. In meiner Familie wird viel diskutiert. Schon als Kind habe ich da gerne zugehört“, sagt er. 

Seit er politische Entscheidungsprozesse bewusst wahrnimmt, scheint es ihm, als würde die Politik – in Österreich, aber auch international – zu wenig auf jene Themen schauen, die vor allem für junge Menschen wichtig sind. „Vom Klimawandel bis zu veralteten Bildungssystemen, da gäbe es viel zu tun. Aber auch die Inflation trifft junge Menschen hart“, analysiert er die Situation. „Wäre ich Politiker, würde ich den Lehrplan beziehungsweise das österreichische Schulsystem verändern wollen. In der Schule wird der Grundstein für das zukünftige Berufsleben gelegt. Und das aktuelle Schulsystem schafft das nicht.“ Jakobs eigener Weg soll nach der Matura in den Bereich Bionik oder Green Jobs führen, in naturwissenschaftliche Themen kann er sich richtig reinsteigern. Doch wer weiß, vielleicht landet er ja auch in der Politik. (es)


Wie Demokratie in der Praxis funktioniert, das lernen wir eigentlich schon im Kindergarten. Wenn die Kleinsten per „Aufzeigen“ abstimmen, ob sie heute lieber in den Park gehen oder zusammen singen wollen, dann ist auch das ein demokratischer Prozess. Später in der Schule wählen Jugendliche ihre Klassen- oder Schulsprecher:innen. Diese führen harte Verhandlungen um die Verteilung von Prüfungen, Tests und Schularbeitsterminen, um Skikurse oder Pausenräume. Im besten Fall wird jungen Menschen schon jetzt bewusst, dass Demokratie Kompromisse braucht, von der Beteiligung und den Meinungen vieler lebt. Das Unterrichtsfach Politische Bildung ist ein Pflichtfach für alle ab der sechsten Schulstufe. 

 Doch für viele Jugendliche bleibt das Gelernte später nur graue Theorie. Selbst dürfen sie nicht wählen und sie haben auch nie erlebt, dass jemand aus ihrer Familie am Sonntag zur Wahlurne gehen darf. Manche von ihnen sind hier geboren, sprechen perfektes Deutsch, kennen kein anderes Land so gut wie Österreich. Was ihnen fehlt? Die österreichische Staatsbürgerschaft.

Wer darf hier überhaupt wählen?

In Österreich darf man ab einem Alter von 16 Jahren an Wahlen teilnehmen und das politische Geschehen mitbestimmen. Neben dem entsprechenden Alter bedarf es auch der österreichischen Staatsbürgerschaft – mit Ausnahmen wie den Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen, den AK-Wahlen sowie EU-Wahlen, bei denen auch nicht österreichische EU-Bürger:innen wählen dürfen. 

Mitbestimmung stärkt die Zugehörigkeit

„SEIT 1997 LEBE ICH IN WIEN. Das ist mehr Zeit, als ich je in Deutschland verbracht habe, wo ich geboren bin. Seit 1999 arbeite ich hier als Journalistin und zahle Steuern“, sagt Maya McKechneay. Doch die Deutsche (insgesamt leben rund 220.000 deutsche Staatsbürger:innen in Österreich) darf auf vielen Ebenen in Österreich nicht wählen. Wie auch die übrigen EU-Bürger:innen, die rund die Hälfte der Nicht-Österreicher:innen im Land ausmachen.

ÖGB - Roland de Roo

In Wien darf Maya ausschließlich bei den Bezirksvertretungswahlen mitbestimmen. Auf Bezirksebene engagiert sie sich auch in einer Bürgerinitiative, den 20ER*INNEN. „Als eine ihrer Sprecher:innen habe ich regelmäßig Termine mit der Bezirksvorsteherin der Brigittenau. Dort erfahre ich einiges über Baumaßnahmen und geplante Veränderungen und habe zumindest das Gefühl, dass ich mich gestaltend einbringen kann“, erklärt sie. 

„Die Teilnahme an demokratischen Prozessen ist wichtig, auch, um das Gefühl der Zugehörigkeit zu stärken. Menschen, die sich in die Gestaltung ihres Lebensumfelds einbringen können, fühlen sich weniger hilflos und fremd.“ So ein Zugehörigkeitsgefühl würde, so Maya, auch negatives Verhalten wie Vandalismus zurückgehen lassen. Denn mit Räumen, die sie selbst mitgestalten können, gehen Menschen sorgsamer um. Als Arbeitnehmerin auch ohne österreichischen Pass kann Maya jedenfalls bei AK- oder Betriebsratswahlen aktiv mitbestimmen. Und das wird sie im kommenden Jahr bestimmt machen. (mm)

Anfang 2023 lebten 9.106.126 Menschen in Österreich. Davon waren knapp 1,4 Millionen Personen nicht wahlberechtigt. Bei der letzten Bundespräsidentenwahl im Jahr 2022 durften also etwa 16 Prozent der Menschen in Österreich nicht wählen. Menschen mit nicht österreichischer Staatsbürgerschaft machen aber ein Fünftel aller Arbeitskräfte in Österreich aus, in systemrelevanten Berufen oft sogar noch mehr. Gerade diejenigen, die während der Coronakrise – sei es an der Kasse, am Bau, in der Nahrungsmittelindustrie, in der Pflege oder in der Logistik – maßgeblich dazu beigetragen haben, das Land am Laufen zu halten, fühlen sich nicht gehört. Ihre Arbeit wird wenig bis gar nicht wertgeschätzt und sie dürfen vielfach an demokratischen Prozessen nicht teilnehmen.

Sie zahlen Steuern und Abgaben wie alle anderen, können aber nicht bestimmen, wie dieses Geld verwendet wird. Sie sind von allen Gesetzen und politischen Entscheidungen betroffen, können aber nicht mitbestimmen, wer diese Gesetze erlässt und diese Entscheidungen trifft. Auch für ihre Kinder, für die zweite und dritte Generation der Zuwanderer und Zuwanderinnen, besteht nicht automatisch ein Anspruch auf die Staatsbürgerschaft. 

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So können wir die Demokratie stärken 

„Demokratie bedeutet Teilhabe und Mitgestaltung der Gesellschaft – das steht auch im Grundsatzprogramm des ÖGB. Und Integration funktioniert am besten durch die Möglichkeit zur Teilhabe. Wenn wir allerdings im demokratischen Prozess immer mehr Menschen verlieren, statt sie an Bord zu holen, dann haben wir alle bald ein großes Problem“, so Willi Mernyi, Bundesgeschäftsführer des ÖGB. Im internationalen und europäischen Vergleich ist das vielfach anders – und davon könnten wir lernen. In Deutschland oder Griechenland etwa bekommen Kinder von Zuwanderern und Zuwanderinnen nach einer gewissen Zeit oder mit deren Schuleintritt automatisch die Staatsbürgerschaft des Landes. Auf kommunaler Ebene, bei Landtags- oder Gemeinderatswahlen, plädiert der ÖGB für eine Entkoppelung des Wahlrechts von der Staatsbürgerschaft. Das ist in Europa bereits in 14 Ländern der Fall. „Zugereiste“ würden so gleichbehandelt, egal ob sie aus einem anderen Bundesland aus der EU oder einem Drittstaat kommen. Eine entsprechende Änderung des Wahlrechts in Österreich bräuchte eine Zweidrittelmehrheit im Parlament.

Demokratieforscherin Martina Zandonella vom SORA-Institut betont: „Demokratie bedeutet, dass wir alle mitbestimmen. Das, was uns alle betrifft, wollen und sollen wir auch alle mitbestimmen. Das ist so nicht mehr gegeben, wenn große Teile der Bevölkerung ausgeschlossen werden oder sich – aus im Grunde nachvollziehbaren Gründen – selbst ausschließen.“ Ein wichtiger Schritt, um den immer größer werdenden Teil der Gesellschaft, der nicht wahlberechtigt ist, einzubeziehen, wäre aus ihrer Sicht ein leichterer Zugang zur Staatsbürgerschaft. Auch das fordert der ÖGB.

Demokratieforscherin Martina Zandonella erklärt im Interview, wie wir unsere Demokratie durch mehr Teilhabe stärken 

Wie wichtig das ist, zeigt sich besonders in Wien: Mehr als 30 Prozent der Wiener:innen ab 16 Jahren dürfen an Wahlen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene nicht teilnehmen. Seit dem Jahr 2002 hat sich dieser Wert fast verdoppelt. Und besonders stellt sich die Situation bei Arbeiter:innen in Wien dar: 60 Prozent von ihnen dürfen nicht wählen. Das verzerrt die politische Repräsentation.

AK-Wahl 2024: Jetzt bist du gefragt 

Als Arbeitnehmer:in kann man – unabhängig von der Staatsbürgerschaft – bei den Arbeiterkammerwahlen, den Wahlen des Betriebsrates oder des Jugendvertrauensrates oder im öffentlichen Dienst bei der Personalvertretungswahl eine Stimme abgeben. Demokratieforscherin Zandonella unterstreicht den großen Vorteil der betrieblichen Mitbestimmung. Hier darf jede:r, unabhängig von der Staatsbürgerschaft, wählen. Sie fügt hinzu: „Für viele ist das oft das erste Mal, dass sie mitmachen und -entscheiden können. Hier leistet die betriebliche Mitbestimmung enorm wichtige Demokratiearbeit.“ Das bestätigt auch Willi Mernyi: „Je mehr Möglichkeiten Menschen haben, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen und mitzuentscheiden, umso wichtiger nehmen sie Demokratie ja auch. Darum appelliere ich auch an alle Arbeitnehmer:innen: Geht zur AK-Wahl und bestimmt ein Stück weit mit, wie die Arbeitswelt von morgen aussehen soll!“

Die nächsten Arbeiterkammerwahlen stehen schon 2024 am Kalender – den Anfang machen bereits im Jänner die Bundesländer Vorarlberg, Tirol und Salzburg, bis Ende April folgen alle weiteren Bundesländer. Bei der AK-Wahl zählt jede Stimme, denn die Arbeiterkammer hilft nicht nur bei rechtlichen Problemen, sie setzt sich auch in der Politik für die Interessen ihrer Mitglieder ein. Dafür ist es entscheidend, zu wissen, welche Probleme und Wünschen Beschäftigte haben oder um welche Themen sich die Arbeiterkammer kümmern soll. Und das entscheidet jede und jeder mit seiner Stimme – egal woher man kommt oder welchen Pass man hat.   




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