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Von insgesamt 105 gemessenen Indikatoren, die Auskunft über die soziale und wirtschaftliche Lage geben, werden bei mehr als der Hälfte Verschlechterungen festgestellt. rh2010 – stock.adobe.com

Analyse

Neue Analyse: Bundesregierung lässt Menschen total im Stich

Momentum-Institut belegt Verschlechterungen in vielen Bereichen. Kritik an Regierung kommt auch von ÖGB-Expertin

Zu ihrem Amtsantritt 2019 hatten sich Grüne und ÖVP viel vorgenommen, darunter eine spürbare Entlastung für arbeitende Menschen, soziale Sicherheit und Armutsbekämpfung. Das Momentum-Institut zieht nun Bilanz: Von insgesamt 105 gemessenen Indikatoren, die Auskunft über die soziale und wirtschaftliche Lage geben, werden bei mehr als der Hälfte Verschlechterungen festgestellt. Darunter fallen wichtige Bereiche wie Inflation, Arbeitslosigkeit, Überförderung von Unternehmen, Armutsbekämpfung, Wohnen und Verteilungsgerechtigkeit. ÖGB-Chefökonomin, Helene Schuberth, hat sich die Analyse genauer angeschaut.

Momentum: Höchste Inflation aller westlichen EU-Länder

Momentum bescheinigt der Regierung viele Versäumnisse, eine davon ist die hohe Inflation: Österreichs Inflation lag in den vergangenen vier Jahren über dem EU-Schnitt und noch deutlicher über dem Schnitt der Euro-Länder. Die Preise kletterten aufgrund der Energie- und Teuerungskrise überdurchschnittlich. Lange Zeit war die heimische Inflationsrate die höchste aller westlichen EU-Länder. 

ÖGB-Chefökonomin Helene Schuberth: Preisauftrieb wurde nicht gestoppt 

ÖGB-Chefökonomin Helene Schuberth kritisiert daran, dass der Preisauftrieb nicht wie in anderen Ländern gestoppt wurde: Statt einzugreifen, ließ es die Bundesregierung zu, dass die Unternehmen zu Lasten der Konsument:innen enorme Profite machen konnten. Die Folgen der Teuerung wurden dann durch Einmalzahlungen etwas gedämpft. Die Folgen sind jetzt unmittelbar spürbar, wie es im Momentum-Bericht steht: schwache Wirtschaftsleistung, hohe Budgetdefizite und – was am schwersten wiegt – das Leben ist für viele nicht mehr leistbar, die Preise sinken nicht.

Staatschulden sind in die Höhe geschnellt

Auch hatte es sich die Regierung zum Ziel gesetzt, die Staatsschuldenquote zu senken, was nicht geschehen ist, wie das Think-Thank Momentum in seiner Studie schildert. Der internationale Vergleich zeige, dass sich die Staatsschuldenquote in Prozentpunkten gemessen in Österreich schlechter entwickelt hat als im europäischen Durchschnitt.  

Keine Maßnahmen gegen Teuerung

Die österreichische Bundesregierung habe sich auf EU-Ebene für eine Verschärfung der ohnehin viel zu restriktiven neuen Fiskalregeln stark gemacht, analysiert Helene Schuberth: Kostspielige teilweise Abgeltung der Folgen der Teuerung über Einmalzahlungen statt direkter Preiseingriffe, exorbitante inflationstreibende Übergewinne bei Energieunternehmen und auch jene der Banken, die Senkung der Körperschaftssteuer zu einer Zeit, als die Inflation wesentlich profitgetrieben war sowie überbordende Coronaförderungen für Unternehmen. All das hat im Budget tiefe Spuren hinterlassen.

Insbesondere deshalb, weil die Regierung auch keine Maßnahmen getroffen hat, um die Staatsschulden einnahmenseitig zu reduzieren. So sind die Staatseinnahmen durch vermögensbezogene Steuern in Österreich deutlich niedriger als im OECD-Schnitt.

Die Arbeit der türkis-grünen Bundesregierung war in vielen Bereichen unzufriedenstellend und hat Folgen ausgelöst. Die nächste Bundesregierung muss die Ärmel hochkrempeln und zeigen, dass sie nicht so agiert, wie die vergangene Regierung. 

ÖGB-Chefökonomin Helene Schuberth

Budget immer noch nicht im Griff

Eine große finanzielle Belastung ist zudem, dass die Regierung das Budget noch immer nicht im Griff hat, heißt es aus der Momentum-Studie. Die Schuldenquote ist im Zeitraum von 2019 bis 2023 von knapp 71 Prozent auf rund 78 Prozent angestiegen. Das sind rund 10.000 Euro mehr an Staatsschulden pro Kopf im Vergleich zu 2019.

Mietpreisbremse kam zu spät 

Im Bereich Wohnen ortet Momentum auch viele Versäumnisse. Aufgrund von Wertsicherungsklauseln stiegen die Mieten in Österreich mit der Inflation. Weil sie einen großen Teil zur Berechnung der Inflation ausmachen, feuerten Mietsteigerungen wiederum die Inflation mit an. Im Ergebnis drehte sich die Mietpreisspirale immer weiter. Andere europäische Länder mit ähnlichen Wertsicherungsklauseln griffen frühzeitig durch Deckelungen der Mietpreise ein. Die Bundesregierung entschied sich erst Ende 2023 dazu eine Mietpreisbremse einzuführen.  

ÖGB-Warnung wurde ignoriert

Der ÖGB warnte vor dieser Entwicklung, wie Helene Schuberth schildert: Im Frühjahr 2022 haben die Sozialpartner ein 9-Punkte-Programm vorgestellt, in dem wir u.a. eine Mietpreisbremse gefordert hatten. Letztlich hat sich die Bundesregierung viel zu spät, als die Inflation schon im Sinken war, auf eine “Mietpreisbremse” geeinigt, die keine ist.

Arbeitslosigkeit gestiegen

Seit 2019 ist auch die Arbeitslosigkeit erstmals wieder gestiegen. Besonders betroffen sind Jugendliche und Langzeitarbeitslose. Hinzu kommt, dass das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe als einzige Sozialleistungen nicht mit der Teuerung mitwachsen. Mit einem durchschnittlichen Arbeitslosengeld von 1.153 Euro fehlten 2023 rund 419 Euro bis zur Armutsgefährdungsschwelle von 1.572 Euro.

Keine Halbierung der Armut

Die Regierung hatte sich dezidiert zum Ziel gesetzt, den Anteil der armutsgefährdeten Menschen innerhalb ihrer Legislaturperiode zu halbieren, heißt es im Bericht weiter. Von einer Halbierung der Armutsgefährdung sowie der Abschaffung von Kinderarmut sei Österreich weit entfernt. Im Gegenteil, der Anteil der armutsgefährdeten Erwachsenen und Kinder ist seit Regierungsantritt wieder gestiegen. Besonders stark betroffen sind vulnerable Gruppen, wie Erwerbsarbeitslose, Alleinerziehende, Mehrkindhaushalte, Mieter:innen, Pensionist:innen und Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft. 

Überbordende Coronaförderungen an Unternehmen

Die Coronaförderungen für die Unternehmen sollten eingesetzt werden, um zu verhindern, dass Firmem in Konkurs gehen und Arbeitsplätze vernichtet werden - so zumindest die Kommunikation der Bundesregierung. Tatsächlich zeigen aber die Daten das Ausmaß der Überförderung: So haben jene Unternehmen, die Förderungen erhalten haben, ihre Bankguthaben stark erhöht, ebenso ihr Eigenkapital – und das trotz rückläufiger Umsätze und einbrechender Wirtschaft.

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Ein Drittel der Unternehmen: Keine Förder-Notwendigkeit 

Verblüffend ist hier schon die Größenordnung: Die geförderten Unternehmen konnten ihre Einlagen sogar um beachtliche 62 Prozent und ihr Eigenkapital um 18 Prozent erhöhen. Die Überförderung wird auch durch eine Umfrage des Kreditschutzverbandes gestützt, die im Oktober 2021 veröffentlicht wurde. Von den befragten Unternehmen (ca. 500), die Förderungen erhalten haben, gaben lediglich 61 Prozent an, dass sie diese Unterstützung tatsächlich benötigten. Ein Drittel der befragten geförderten Unternehmen gab an, dass für die Förderung keine wirtschaftliche Notwendigkeit bestand. 

Verteilungsgerechtigkeit hat sich nicht spürbar verbessert

Die Geschlechterungleichheiten im Erwerbsleben sowie in der Pension haben sich innerhalb der Regierungsperiode nur gering bis gar nicht verbessert, konkludiert Momentum an anderer Stelle. Immer noch klafft die Schere zwischen Frauen und Männern weit auseinander. Daher: Lohndiskriminierung ist ein Erbe dieser Regierung. 

Studien zeigen einen weiteren Effekt: Drängen vermehrt Frauen in eine Branche, dann sinkt im Schnitt der Lohn. Sobald der Frauenanteil über 60 Prozent ausmacht, setzt die Lohnentwertung in dieser Branche ein. Auch an der ungleichen Verteilung von unbezahlter Haus- und Sorgearbeit hat die Bundesregierung nichts ändern können: Frauen übernehmen hierzulande nach 40 Jahren immer noch den Löwenanteil – zwei Drittel - der unbezahlten Sorgearbeit.  

Neue Regierung muss Ärmel hochkrempeln

Zusammenfassend muss festgehalten werden: Die Arbeit der türkis-grüne Bundesregierung war in vielen Bereichen unzufriedenstellend und hat auch Folgen ausgelöst. Die nächste Bundesregierung muss die Ärmel hochkrempeln und zeigen, dass sie nicht so agiert, wie die vergangene Regierung.  

 

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