Plattformarbeit
Neue EU-Richtlinie: Mit Ausbeutung von PlattformarbeiterInnen soll bald Schluss ein
Uni-Professor Martin Gruber-Risak erklärt im oegb.at-Interview, was das für ArbeitnehmerInnen bedeutet und was noch rauszuholen wäre
Die EU-Kommission will sich die Scheinselbstständigkeit vorknöpfen und stellte am 9. Dezember einen Gesetzentwurf vor, der MitarbeiterInnen von Online-Plattformfirmen wie Uber oder Deliveroo mehr Rechte zuspricht. „Damit stünden ihnen auch bezahlter Urlaub, Pensionsansprüche und ein kollektivvertraglicher Mindestlohn zu“, begrüßt ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian den Richtlinien-Entwurf. Es sei ein erster Schritt in die richtige Richtung, dem noch viele folgen müssen.
Was diese Richtline bringt, wenn sie umgesetzt wird, und was es noch brauchen würde, erklärt Martin Gruber-Risak, Professor am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Uni Wien, im Interview mit oegb.at.
Was ist derzeit das große Problem bei Plattformarbeit?
Neun von zehn Plattformbeschäftigten werden von den Plattformen als Selbständige eingestuft, obwohl sie in vielen Fällen eigentlich ArbeitnehmerInnen sind. Diese Scheinselbständigkeit dient der Vermeidung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften, wie kollektivvertragliche Mindestentgelte, bezahlter Urlaub und Krankenstand oder Mehrarbeits- und Überstundenzuschläge. Ein anderes Problem ist der Umstand, dass in der Plattformwirtschaft wie zum Beispiel der Essenszustellung, kein Mensch, sondern eine App der Chef ist und alle wesentlichen Entscheidungen von einem Computerprogramm, einem Algorithmus, getroffen werden.
Die EU-Kommission will hier nun mit einem Gesetz für faire Arbeitsbedingungen sorgen. Gelingt das?
In einem gewissen Maße schon – es wird einmal anerkannt, dass es da Probleme gibt und dass man etwas tun muss. Vor allem auch deshalb, da solche Praktiken sonst nach und nach in „traditionelle“ Arbeitsverhältnisse hinüberschwappen. Die Lösungen der Kommission sind auch wirklich innovativ – in der Umsetzung scheinen sie aber schon jetzt, schon bevor darüber offiziell verhandelt wird, ein Kompromiss zu sein.
Wie genau soll Scheinselbstständigkeit mit diesem neuen Gesetz bekämpft werden?
Durch eine gesetzliche Vermutung, dass ein Arbeitsverhältnis zur Plattform vorliegt. Diese kann dann von der Plattform widerlegt werden – sie muss sich quasi „freibeweisen“, dass kein Arbeitsverhältnis vorliegt. Das erleichtert es den Plattformbeschäftigten wirklich, die Anwendung des Arbeitsrechts nachzuweisen und verschiebt die Beweislast zu den Plattformen – das ist gerechtfertigt, da diese ja die einzigen sind, die wissen, wie die Arbeit über die App, die Algorithmen organisiert ist. Plattformbeschäftigte wissen ja gar nicht, wie sie eigentlich funktioniert.
Der Teufel steckt dann freilich im Detail – damit die Vermutung greift, muss nämlich doch etwas bewiesen werden – zwei von fünf Elementen aus einem Kriterienkatalog müssen erfüllt sein. Das dürfte nicht immer ganz leicht sein und da sollte man aus meiner Sicht die Schwelle weiter absenken.
Was ändert sich durch diese Richtlinie?
Neben der widerleglichen Vermutung eines Arbeitsverhältnisses wird auch das algorithmische Management angegangen – diese Bestimmungen gelten übrigens nicht nur für „echte“ ArbeitnehmerInnen, sondern auch für selbständige Plattformbeschäftigte. Die Plattformen müssen über Überwachungssysteme und automatisierte Entscheidungsfindung informieren. Bei Entscheidungen über die Einschränkung, Aussetzung oder Beendigung eines Kontos von Plattformbeschäftigten, ebenso wie im Falle der Zahlungsverweigerung, muss die Plattform die Gründe dafür schriftlich darlegen. Außerdem müssen Plattformbeschäftigte die Möglichkeit haben, einen Menschen, eine natürliche Person, zu kontaktieren und die Entscheidung ist grundsätzlich binnen einer Woche zu überprüfen.
Und was sind dabei die Vorteile für die Beschäftigten?
Es ist dann vor allem leichter, den richtigen rechtlichen Status als ArbeitnehmerIn zu beweisen und damit gegen Scheinselbständigkeit vorzugehen. Das ist z. B. dann wichtig, wenn man als Fahrradbotin einen Arbeitsunfall hatte und einen bezahlten Krankenstand einklagen muss, weil sich die Zustellplattform weigert, Entgeltfortzahlung zu leisten.
Diese Scheinselbständigkeit dient der Vermeidung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften, wie kollektivvertragliche Mindestentgelte, bezahlter Urlaub und Krankenstand oder Mehrarbeits- und Überstundenzuschläge.
Was erfüllt die Richtlinie nicht? Was wäre aus deiner Sicht noch notwendig, verbesserungswürdig?
Die Schwelle für das Eingreifen der gesetzlichen Vermutung ist recht hoch angesetzt und es ist denkbar, dass Plattformen ihre Geschäftsbedingungen entsprechend anpassen werden, um diese zu vermeiden. Es muss daher ausreichen, wenn ein Kriterium erfüllt ist und der Katalog muss offen formuliert sein, damit man auf Änderungen der Praxis flexibel reagieren kann. Außerdem wird nicht gegen unfaire Vertragsklauseln vorgegangen und die unkomplizierte Übertragung von Ratings von einer auf die andere Plattform – ähnlich der Mitnahme eine Mobilnummer – wird nicht sichergestellt.
Wie geht’s jetzt weiter? Wann wird diese Richtline in Österreich gültig sein?
Das wird leider dauern – jetzt sind mal das Parlament und der Rat der nationalen Staats- und RegierungschefInnen am Zug. Wenn es da zu einer Einigung kommt - das dauert oft viele Monate - und eine Richtlinie verabschiedet wird, dann haben die Mitgliedstaaten in der Regel noch zwei Jahre Zeit, um diese in ihr nationales Recht umzusetzen. Es braucht also einen langen Atem.
Einen detaillierteren Überblick über die Inhalte sowie eine erste Bewertung und Einschätzung der EU-Richtlinie zu Plattformarbeit findest du auf https://awblog.at/neue-eu-richtlinie/