Weil Frauen nicht wählen durften stand der Internationaler Frauentag 1911 unter der Parole "Her mit dem Frauenwahlrech". In der Mitte: Anna Boschek
ArbeiterInnenbewegung
Untrennbar verbunden: Gewerkschaft & Demokratie
Mitbestimmung und die Mitsprache bei der Gesetzwerdung und in den Betrieben waren stets die zentralsten Forderungen der ArbeiterInnenbewegung
Die ArbeiterInnenbewegung war von ihren Anfängen an immer schon Vorreiterin der Demokratisierung der Gesellschaft. Ob in den Bildungsvereinen oder den Vorläufern der eigentlichen Gewerkschaften, die Mitbestimmung und die Mitsprache bei der Gesetzwerdung und in den Betrieben waren stets die zentralsten Forderungen der ArbeiterInnenbewegung. Anfangs oft in verschiedene politische Richtungen geteilt, ist die österreichische Gewerkschaftsbewegung seit 1945 im Österreichischen Gewerkschaftsbund vereint. Der gewerkschaftliche Kampf für Demokratie begann allerdings schon wesentlich früher.
250.000 auf der Ringstraße
Ende des 19. Jahrhunderts wurden soziale Gesetze für die ArbeitnehmerInnen immer dringlicher. Doch das Parlament wurde von den Vermögenden bestimmt. Ohne Mitbestimmung der ArbeiterInnenbewegung bei der Gesetzwerdung waren keine sozialen Verbesserungen zu erwarten. Deshalb schalteten sich Gewerkschaften zunehmend in Wahlkämpfe ein und forderten immer heftiger das allgemeine und gleiche Wahlrecht. 1905 drohten die Gewerkschaften mit einem Generalstreik. Rund 250.000 ArbeiterInnen und Angestellte marschierten auf der Wiener Ringstraße – mit Erfolg: 1907 wurde zum ersten Mal auf der Basis eines allgemeinen und gleichen Wahlrechts gewählt und zahlreiche Gewerkschafter schafften den Einzug in den Reichsrat. Allerdings schloss das neue Wahlrecht noch immer die Hälfte der Bevölkerung aus, nämlich die Frauen.
Heraus mit dem Frauenwahlrecht!
Weil Frauen weiterhin nicht wählen durften, stand der Internationale Frauentag 1911 unter der Parole „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“. Unter den Frauen, die damals für das Frauenwahlrecht kämpften, waren viele Gewerkschafterinnen. Eine von ihnen war Anna Boschek, eine 1874 geborene Fabrikarbeiterin aus Wien. Von ihrer Arbeit in der Fabrik erzählte sie einst, wie ihr eine Kollegin zu Hilfe kam, als plötzlich eine Maschine stillstand, und zu ihr sagte: „Es ist Pflicht jeder Arbeiterin, dass sie der anderen beisteht, und wenn alle Arbeiterinnen zusammenhalten würden, könnten sie sich auch bessere Löhne erringen.“ Nach der Arbeit besuchte Boschek immer wieder Vorträge und Versammlungen, entdeckte bald ihr Talent, Reden zu halten, und die Arbeiterinnenbewegung wurde zu ihrem Lebensinhalt. 1893 wurde sie Mitglied der Gewerkschaftskommission, während des Ersten Weltkriegs brachte sie viele Frauen dazu, den Gewerkschaften beizutreten. Als dann nach Ende des Krieges endlich das „allgemeine, gleiche, direkte und geheime Stimmrecht ohne Unterschied des Geschlechtes“ – also auch das Wahlrecht für Frauen – durchgesetzt werden konnte, war Anna Boschek eine der ersten weiblichen Abgeordneten, die ins österreichische Parlament einzogen.
Demokratie im Betrieb
Genauso wichtig wie die Mitbestimmung bei Gesetzen ist für die Gewerkschaftsbewegung die Mitsprache in den Betrieben. Umgeben von einer revolutionären Stimmung konnten in den ersten Jahren der jungen Republik zahlreiche arbeitsrechtliche und sozialpolitische Errungenschaften erzielt werden – darunter auch für die innerbetriebliche Mitbestimmung wichtige Gesetze, allen voran das Betriebsrätegesetz vom 15. Mai 1919. Das Gesetz räumte BetriebsrätInnen begrenzte Mitsprache- und Kontrollbefugnisse ein: unter anderem die Überwachung der Kollektivverträge, die Überprüfung der Lohnauszahlungen oder die Beratung mit der Unternehmensleitung über die Betriebsführung. Die damals gewonnenen Rechte sind noch heute die Grundlage gewerkschaftlicher Arbeit in den Betrieben und damit auch der innerbetrieblichen Demokratie.
Im ÖGB vereint
Nach 1945 waren es wieder die GewerkschafterInnen, die sich an die Spitze der Demokratie stellten. Während in Teilen Europas noch Krieg war, wurde am 27. April 1945 der ÖGB aus der Taufe gehoben – als unabhängiger Gewerkschaftsbund, in dem alle wesentlichen politischen Fraktionen vertreten waren und bis heute sind. In den vergangenen Jahrzehnten konnte der ÖGB viele Verbesserungen für die Beschäftigten in Österreich erkämpfen – manchmal war dies einfacher, manchmal etwas schwieriger. Eine wichtige Voraussetzung waren dabei aber immer die Auseinandersetzung, der Austausch und der Dialog mit Personen und Organisationen außerhalb der Gewerkschaftsbewegung.