Zum Hauptinhalt wechseln
Ingrid Reifinger
Ingrid Reifinger Elisabeth Mandl

Digitalisierung

Arbeit der Zukunft: Immer schneller, immer mehr, immer digitaler 

Ingrid Reifinger, ÖGB-Expertin für Gesunde Arbeit, erklärt, warum Digitalarbeit krank machen kann und wie wir uns schützen können

Die Zukunft der Arbeit hat schon längst begonnen. Homeoffice, virtuelle Teams aber auch Videokonferenzen sind längst alltägliche Wirklichkeit für hunderttausende ArbeitnehmerInnen in Österreich. 

Die Veränderungen sind noch lange nicht abgeschlossen, die Digitalisierung wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken. Nicht immer zum Vorteil der Menschen. 

oegb.at: Welche gesundheitlichen Gefahren lauern hinter einem Übermaß an digitalisierter Arbeit?

Ingrid Reifinger: Eine Zunahme an psychischen Belastungen ist hier gleich an erster Stelle zu nennen.

Arbeitstempo, Arbeitsverdichtung und Arbeitsintensität aufgrund stetig schnellerer Taktung der Abläufe werden mit der Digitalisierung weiter steigen, wodurch Leerläufe im betrieblichen Ablauf weitgehend eliminiert werden sollen.

Dadurch können Synergien genutzt werden, die auch dazu beitragen die Personaldecke möglichst niedrig zu halten. Auch dies ist ein Grund für zunehmenden Stress und Arbeitsdruck

Psychische Belastungen entstehen auch durch die umfassenden Kontrollmöglichkeiten von digitalisierter Technik, wie z. B. durch umfassende Ortung von Menschen aber auch durch die Überwachung von Arbeitsmitteln.

Die Nachvollziehbarkeit von einzelnen kleinsten Arbeitsschritten auch durch die gleichzeitige Erfassungsmöglichkeit von Sprache und Bild (z. B. Augenbewegungen, Blinzeln) ist gegeben. Diese Kontrollmöglichkeiten erhöhen den Rechtfertigungsdruck von ArbeitnehmerInnen.

Ich möchte aber auch ein Beispiel anführen, wo neue technische Anwendungen zu neuen physischen Belastungen führen können. Erweiterte Realität oder „Augmented Reality”-Systeme (AR), darunter wird häufig die visuelle Darstellung von Informationen mittels AR-Brille verstanden, haben den Weg ins Arbeitsleben gefunden.

Das Gewicht, die spezifische Gewichtsverteilung des Objekts, die Qualität der Darstellung der Information und die Lärmentwicklung der AR-Brille sind die offensichtlichsten physischen Belastungen. Bei Umgebungslärm können komplexe Sprachbefehle zum Problem werden. Ohne eine freie Hand sind Gestensteuerungen schwierig.

Gesten und Sprachbefehle zur AR-Steuerung müssen daher in Einklang mit Arbeitsumfeld und Tätigkeit gebracht werden. Durch die Einbindung der betroffenen ArbeitnehmerInnen lassen sich in der Praxis jedoch gute Lösungen finden.

Sind ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber in der digitalen Arbeitswelt potenziellen gesundheitlichen Risiken hilflos ausgeliefert?

In allen EU-Mitgliedsstaaten müssen die Arbeitsplätze in Hinblick auf gesundheitlichen Belastungen evaluiert werden. Und hier gilt: Kein Einsatz neuer Technologien ohne vorherige Evaluierung!

Auch wenn durch neue Technologien die Arbeit vordergründig erleichtert wird, die damit verbundenen Gefahren und Gefährdungen müssen erhoben werden. Dann sind Maßnahmen zu setzen, die diese Gefährdungen reduzieren bzw. beseitigen. Das gilt z. B. auch für eine AR-Brille. 

Wie bereits erwähnt ermöglichen digitale Anwendungen oft eine lückenlose Überwachung und Dokumentation sämtlicher Tätigkeiten im Anwendungsbereich, was bei den Betroffenen psychisch belastend ist. Betriebsräten kommt dabei beim Abschluss von Datenschutzvereinbarungen eine wichtige Rolle zu.

Welche Rolle spielt dabei die Gestaltung des Arbeitsplatzes bzw. wer kann hier unterstützen?

Grundsätzlich gilt: Das Maß für die Gestaltung des Arbeitsplatzes und für den Aufgabenzuschnitt sind immer die Fähigkeiten, Voraussetzungen und Bedürfnisse der Menschen und nicht allein die technische Machbarkeit von Systemen. Es müssen dabei immer die Bedürfnisse der ArbeitnehmerInnen in den Vordergrund gerückt werden. 

Deshalb ist die Einbeziehung der Betroffenen bei der Einführung von neuen technischen Anwendungen ganz wichtig. Es soll keine Digitalisierung von oben geben, bei der männliche Techniker z. B. Anwendersoftware für weibliche Pflegekräfte entwickeln, die ihnen dann als „arbeitsunterstützend“ vorgesetzt wird. Oft binden Unternehmen in digitale Veränderungsprozesse nur Führungskräfte, IT-Abteilungen und Externe ein. Doch diese Lösungen gehen dann oft an der Arbeitsrealität der Betroffenen vorbei.

BetriebsrätInnen haben bei der Einführung von neuen Technologien jedenfalls ein Recht auf Mitbestimmungen nach dem Arbeitsverfassungsgesetz. 

Braucht jeder Betrieb und jedes Unternehmen ein eigenes Gesundheitsmanagement? Was wären die Vorteile?

Ja, unbedingt, denn das Betriebliche Gesundheitsmanagement verfolgt einen ganzheitlichen und systematischen Ansatz. Sicherheit und Gesundheit der ArbeitnehmerInnen werden dabei Managementaufgabe und somit Teil der Unternehmenspolitik und -kultur.

Das ist auch bei der Digitalisierung ein wichtiger Ansatz, um gesundheitliche Belastungen bereits von vorneherein soweit es geht zu reduzieren.

Wir wollten von Ingrid Reifinger, ÖGB-Expertin für Gesunde Arbeit, wissen, welche gesundheitlichen Gefahren von der Digitalisierung ausgehen können, wie man damit umgehen kann, aber auch wie man sich schützen kann.