Interview
Künstliche Intelligenz: Chancen und Regeln für die Arbeitswelt der Zukunft
Die ÖGB-Digitalisierungsexpert:innen Adele Siegl und Sebastian Klocker im Interview über den AI-Act, Transparenz und die Bedeutung der Mitbestimmung in der Ära der Künstlichen Intelligenz
Das neue „Kompetenzzentrum Arbeit und Technik“ im ÖGB bietet umfassende Datenschutz- und Technikberatung für die Arbeitswelt. Die ÖGB-Digitalisierungsexpert:innen Adele Siegl und Sebastian Klocker erklärten im Interview mit oegb.at, wie der Umgang mit künstlicher Intelligenz geregelt werden muss, welche Vorteile KI (Künstliche Intelligenz) für Arbeitnehmer:innen hat, welche Branchen besonders betroffen sind und wo die Gefahren liegen.
oegb.at: Was ist der europäische Artificial Intelligence Act (AI-Act) genau und inwiefern solle er den Umgang mit künstlicher Intelligenz regeln?
Sebastian Klocker: Der europäische Artificial Intelligence Act (AI-Act), den die Europäische Kommission vorgeschlagen hat, ist ein rechtlicher Rahmen für den Umgang mit künstlicher Intelligenz (KI) in der Europäischen Union. Er zielt darauf ab, die Entwicklung und Nutzung von KI in den Mitgliedstaaten zu regulieren, indem es klare Regeln und Leitlinien für die Produkteinführung vorgibt. Derzeit befindet er sich in der Trilog-Verhandlung (zw. Kommission, Rat und Parlament) und wichtige Eckpunkte sind noch nicht zu Ende verhandelt.
Der AI-Act soll Vertrauen in die KI-Technologie fördern, indem er sicherstellt, dass die in der EU eingesetzte KI sicher ist und die Grundrechte und -freiheiten der Menschen achtet und somit einen menschenzentrierten Umgang in den Mittelpunkt stellt.
Kern des AI-Acts ist die Einordnung von KI-Systemen in Risikoklassen. Während Systeme mit „begrenztem Risiko“ nur geringe Auflagen – wie etwa minimale Transparenzanforderungen - erfüllen müssen, werden Systeme mit „hohem Risiko“ strengen Compliance- und Sicherheitstests unterzogen werden, bevor sie auf den Markt gebracht werden können. Systeme mit „inakzeptablem Risiko“ wie z. B. Social Scoring oder Videoüberwachung mit Gesichtserkennung in Echtzeit durch biometrische Daten sollen gänzlich untersagt werden.
Die Einführung von KI-Systemen in der Arbeitswelt muss unter Einbeziehung der Beschäftigten erfolgen.
Was bringt eine Kennzeichnungspflicht von KI-Systemen wie Chat-Bots?
Die Kennzeichnung von KI-Systemen dient der Transparenz und der Vertrauenswürdigkeit. Da KI-Systeme nicht frei von Fehlern oder Bias sind, Falschinformationen generieren und auch datenschutzrechtliche Probleme mit sich bringen können, sollen sie in Zukunft als solche kenntlich gemacht werden. Dadurch wird auch das Bewusstsein unter den Nutzerinnen und Nutzern geschärft. Wir sehen die Kennzeichnung als essenziell für die gesellschaftliche Medienkompetenz und auch als Beitrag zur Eindämmung von KI-generierten Fake News.
Wie steht der ÖGB zur in Österreich geplanten KI-Strategie?
Wir begrüßen das Vorgreifen auf den AI-Act in puncto Kennzeichnungspflicht und die Schaffung einer vorläufigen Servicestelle. Einen nationalen Alleingang sehen wir allerdings kritisch.
Der Einsatz von KI unter Einbeziehung der Mitarbeiter:innen kann auch das Gegenteil bewirken und gesündere und sicherere Arbeitsbedingungen schaffen sowie mehr Freizeit und Flexibilität ermöglichen.
Was ist in diesem Zusammenhang für Arbeitnehmer:innen besonders wichtig?
Die Einführung von KI-Systemen in der Arbeitswelt muss unter Einbeziehung der Beschäftigten erfolgen. Wir arbeiten bereits mit einer Vielzahl von Programmen und Apps, die uns überwachen und zahlreiche Daten über uns und unsere Arbeit sammeln. Algorithmen sind zu unseren täglichen Begleitern geworden, die uns bei der Erledigung von Arbeitsaufträgen unterstützen, uns Vorschläge machen, wie wir auf E-Mails antworten sollen oder sogar unsere Leistung messen und auf dieser Grundlage Entscheidungen treffen – zum Beispiel, ob wir für einen Job geeignet sind oder Bonuszahlungen verdienen. Diese Prozesse müssen transparent sein und dürfen nicht dazu beitragen, dass Arbeitnehmer:innen diskriminiert oder ungerecht behandelt werden oder zur Arbeitsverdichtung und -intensivierung führen.
Es ist höchste Zeit für Regulierungen, denn wir spüren bereits eine Zunahme von Stress - viel davon ist Technostress (Stress, psychische Reaktion des Körpers, der durch Technologien verursacht wird) - bei den Arbeitnehmer:innen. Für viele Systeme, mit denen bereits gearbeitet wird, sind Betriebsvereinbarungen zwingend oder notwendig, weil sie auch Überwachung und Leistungsbeurteilung beinhalten oder zu viele personenbezogene Daten erfassen und verarbeiten. In Unternehmen, wo es keinen Betriebsrat gibt, sind die Mitarbeiter:innen dem völlig ausgeliefert und es müssen Einzelvereinbarungen abgeschlossen werden.
Wenn bei der Einführung von KI-Systemen an den Mitarbeiter:innen vorbei agiert wird, wird sie keinen Erfolg haben. Es kann zu erhöhter psychischer Belastung und Angst vor Überwachung kommen.
Umgekehrt kann der Einsatz von KI unter Einbeziehung der Mitarbeiter:innen auch das Gegenteil bewirken und gesündere und sicherere Arbeitsbedingungen schaffen sowie mehr Freizeit und Flexibilität ermöglichen. Am wichtigsten ist natürlich, dass bestehende Rechte der Arbeitnehmer:innen nicht untergraben oder eingeschränkt, sondern ausgebaut werden.
Worauf muss arbeitsmarktpolitisch und arbeitsrechtlich geachtet werden?
Es ist zu erwarten, dass durch den Einsatz von KI Arbeitsplätze wegfallen oder sich die Qualifikation verändert - nach unten wie nach oben. Dies sollte aber nicht dazu führen, dass ein Mensch dann mehr leisten kann und muss, sondern im Idealfall zu einer Verkürzung der Arbeitszeit. Das wäre nicht nur für den/die einzelne/n Arbeitnehmer:in gesünder, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt. Es geht darum, die Produktivitätsgewinne für alle nutzbar zu machen – für die Beschäftigten in Form von höheren Löhnen und Arbeitszeitverkürzung. Natürlich braucht es auch ein breites Angebot an attraktiven und qualitativ hochwertigen Weiterbildungsmöglichkeiten.
Arbeitsrechtliche Bedenken gibt es vor allem in der digitalen Plattformökonomie - auch „Gig-Economy“ genannt. Hier werden Beschäftigte zwangsweise selbstständig. Feste Arbeitsverhältnisse mit den entsprechenden Rechten werden hier selten angeboten. Aber auch hier soll es künftig eine EU-Richtlinie geben. Nationale Regelungen werden aber weiterhin nötig sein, denn die Plattformrichtlinie kennt nur Arbeitnehmer:innen und Selbständige, aber keine dubiosen Hybridformen wie den freien Dienstvertrag. Insbesondere junge Arbeitnehmer:innen wünschen sich zunehmend mehr Flexibilität. Freie Zeiteinteilung, so viel oder so wenig arbeiten, wie man will, macht aber noch keine Selbständigkeit aus. Wenn dir ein Algorithmus Arbeitsaufträge gibt und dich mit Gamification-Methoden (die Anwendung spieltypischer Elemente in einem spielfremden Kontext) dazu anreizt, diese Aufträge anzunehmen, oder dich überwacht und deine GPS- und Leistungsdaten sammelt, dann bist du nicht dein eigener Chef. Hier geht es nicht nur um Krankengeld, bezahlten Urlaub, Pflegefreistellung etc., sondern auch um das Recht auf Kollektivvertragsverhandlungen und Mitbestimmung.
Der Arbeitsschutz erfährt durch den Einsatz von KI möglicherweise eine Schwerpunktverlagerung von physischen zu psychischen Belastungen. Wir sprechen hier von Arbeitsverdichtung, Entgrenzung und Entfremdung, aber auch von Technostress.
Welche Branchen könnten am meisten von der Entwicklung in Richtung KI betroffen sein?
Eine aktuelle Studie der International Labour Organization (ILO) zeigt, dass Bürotätigkeiten, insbesondere kaufmännische Berufe, am stärksten von der Entwicklung der generativen KI (z. B. ChatGPT) betroffen sein werden. Wir sehen aber auch, dass in Spedition, Lager und Logistik bereits viel mit algorithmischer Steuerung gearbeitet wird. KI kann aber fast überall eingesetzt werden, um die Arbeit zu erleichtern oder sicherer zu machen. Dort, wo Menschen im Außendienst, in Büros oder im Homeoffice arbeiten, besteht aber ein höheres Risiko als z. B. in Produktionsbetrieben, wo es mehr um die Überwachung von Maschinen – etwa zur Arbeitssicherheit – als um die Kontrolle der Arbeitnehmer:innen geht.
Könnte diese Entwicklung auch positive Effekte haben; wenn ja, für wen bzw. worauf konkret?
Unter den richtigen Bedingungen, also Miteinbeziehung aller Betroffenen, Berücksichtigung von Grundrechten und bestehenden Arbeitsgesetzen, aber auch Umweltschutz und Nachhaltigkeit, könnten die neuen Technologien viele positive Effekte für alle haben. Ich glaube, wir sind da in Europa auch auf einem guten Weg. Einen Aspekt, den wir aber dabei nicht außer Acht lassen dürfen ist der Klima- und Umweltschutz. Systeme der Künstlichen Intelligenz brauchen eine Menge Energie und Ressourcen.