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Österreichs Vollzeitbeschäftigte arbeiten viel. Und zwar richtig viel. Höchste Zeit für eine Arbeitszeitverkürzung. Fokussiert – stock.adobe.com

Weniger arbeiten, mehr vom Leben

Kürzere Arbeitszeiten – eine Chance für alle

Deutscher Arbeitszeitexperte im oegb.at-Interview über die Vorteile kürzerer Arbeitswochen

Kürzer arbeiten und trotzdem alles schaffen?

Ja, das geht, wie viele Unternehmen in Österreich schon lange erfolgreich beweisen. Die 32-Stunden-Woche bei der Videoplattform whatchado oder die 35-Stunden-Woche bei GPS-Tracker-Hersteller „Tractive“ in Oberösterreich sind nur zwei Beispiele, wie Arbeitszeitverkürzung das Leben der Beschäftigten verbessert hat.

Wenig überrascht davon ist Torsten Müller, Arbeitszeitexperte und Senior Researcher am Europäischen Gewerkschaftsinstitut (ETUI): „Beschäftigte fühlen sich wohler, schlafen besser und bewegen sich mehr. Das zeigen Studien klar." 

Nicht nur die Beschäftigten, auch Unternehmen profitieren: Weniger Krankenstände, zufriedene Mitarbeiter:innen und eine stärkere Position im Wettbewerb um neue Fachkräfte sprechen für eine Arbeitszeitverkürzung. Besonders junge, gut ausgebildete Menschen schätzen zusätzliche Freizeit oft mehr als hohe Einkommen. 

Bild vom deutschen Arbeitsrechtsexperten Torsten Müller
Torsten Müller Gleamlight/Ph. Molitor

Beschäftigte haben sich kürzere Arbeitszeiten verdient.

 

Unternehmen haben ihre Produktivität gesteigert – jetzt ist es Zeit, dass auch die Beschäftigten etwas davon haben.

Torsten Müller, Senior Researcher am Europäischen Gewerkschaftsinstitut (ETUI)

Mehr Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern

Vor allem für Frauen könnte eine kürzere Arbeitszeit viel verändern. In vielen Familien kümmern sich Frauen um Kinder oder pflegen Angehörige. Dadurch arbeiten sie oft in Teilzeit – und das nicht immer freiwillig. 

Müller ist überzeugt, „dass kürzere Vollzeitstellen Frauen helfen können, mehr Stunden zu arbeiten und finanziell unabhängiger zu sein“.  Das wäre nicht nur gerechter, sondern auch besser für die Gesellschaft. Mehr Frauen in Vollzeitjobs könnten den Fachkräftebedarf verringern und alte Rollenbilder aufbrechen. 

Doch Müller betont: „Ohne eine gute Kinderbetreuung wird das nicht funktionieren. Frankreich zeigt, wie wichtig der Ausbau der Betreuung ist, damit kürzere Arbeitszeiten auch wirklich wirken." 

Wo eine Arbeitszeitverkürzung besonders hilft

In bestimmten Branchen macht eine kürzere Arbeitszeit einen besonders großen Unterschied. Menschen, die körperlich hart arbeiten, wie im Bau oder in der Pflege, würden besonders profitieren. Auch die Beschäftigten in psychisch belastenden Jobs, zum Beispiel in Kindergärten oder in Schichtarbeit, wären entlastet. „Weniger Stress und mehr Erholung sind gut für die Gesundheit der Beschäftigten", bringt es Müller auf den Punkt. 

ÖGB

Hürden und Lösungen für die Umsetzung

Eine Arbeitszeitverkürzung geht nicht von heute auf morgen. Umfangreiche Planungen im Vorfeld sind eine wichtige Voraussetzung. Die größte Herausforderung bei der Einführung einer kürzeren Arbeitszeit liegt in der innerbetrieblichen Organisation.  

„Unternehmen müssen Prozesse umstellen, Schichtsysteme anpassen und teilweise neues Personal einstellen", erläutert Müller.  Wichtig sei vor allem, dass Betriebsräte und Beschäftigte mitreden können, da sie am besten wissen, wie ihre Arbeitswelt optimal funktioniert.  

Außer Zweifel steht: „Es gibt keine Lösung, die für alle passt. Jede Branche hat andere Anforderungen. Man kann nicht alle über einen Kamm scheren", wie Müller betont. 

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Positive Beispiele aus Europa

Großangelegte Arbeitszeitverkürzungen wurden schon in einigen Ländern mit Erfolg getestet. Pilotprojekte in Großbritannien, Irland, Portugal und Deutschand zeigen, dass kürzere Arbeitswochen funktionieren. „Die meisten Unternehmen, die es ausprobiert haben, bleiben dabei, weil die Vorteile überwiegen", erzählt Müller. Und: Die spanische Regierung plant, die Arbeitszeit ab dem 1. Januar 2025 von 40 auf 37,5 Stunden pro Woche zu reduzieren, ohne Lohnkürzungen.

Warum kürzere Arbeitszeiten die Zukunft sind

Die letzte allgemeine Arbeitszeitverkürzung in Österreich hat es vor 50 Jahren gegeben. Von 1970 bis 1975 wurde die Arbeitszeit schrittweise von 45 auf 40 Wochenstunden verkürzt.

Wenig verwunderlich also, dass die Diskussion um Arbeitszeitverkürzung verstärkt aufflammt – besonders in den aktuell schwierigen Zeiten. Müller ist überzeugt, dass kürzere Arbeitszeiten nicht nur die Beschäftigten entlasten, sondern auch die Wirtschaft stärken können: „Gerade jetzt, in einer Zeit des Wandels durch Digitalisierung und Klimaschutz, kann eine Arbeitszeitverkürzung helfen, Arbeitsplätze zu sichern und die Produktivität zu steigern." 

Fazit: Eine verdiente Entlastung

Die Arbeitswelt ist ständig im Wandel, die einzige Konstante scheint die gesetzliche Arbeitszeit zu sein. Angesichts der gestiegenen Arbeitsbelastung, besonders durch Digitalisierung und beschleunigte Prozesse, ist das nicht fair, so Müller: „Beschäftigte haben sich kürzere Arbeitszeiten verdient. Unternehmen haben ihre Produktivität gesteigert – jetzt ist es Zeit, dass auch die Beschäftigten etwas davon haben." 

Eine kürzere Arbeitszeit ist mehr als eine Entlastung. Sie macht Menschen zufriedener, Unternehmen attraktiver und die Gesellschaft ein Stück gerechter. Ein Schritt, der sich lohnt. 

Die Zeit ist reif für kürzere Arbeitswochen!

Der ÖGB setzt sich seit jeher für kürzere Arbeitszeiten bei vollem Lohn- und Personalausgleich ein.

Wir begrüßen alle Formen der Arbeitszeitverkürzung, etwa die sechste Urlaubswoche oder reduzierte Tages- oder Wochenarbeitszeiten.

Kürzere Arbeitszeiten sorgen auch dafür, dass mehr Menschen einen Job finden – gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ist die bessere Verteilung von Arbeit unumgänglich!

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