Mindestlohn
Fünf Argumente für höhere Mindestlöhne
Höhere Mindestlöhne erhöhen weder die Arbeitslosigkeit noch schaden sie der Wirtschaft. Im Gegenteil: Sie fördern die Kaufkraft
Arbeitsminister Kocher ist in vielerlei Hinsicht konsequent neoliberal: Beispielsweise, wenn er sich gegen ein höheres Arbeitslosengeld ausspricht, weil die Staatsschuld geringgehalten werden müsse. Ebenso stellt er sich gegen höhere Mindestlöhne, wie die Wiener Wochenzeitung Falter berichtete.
Aber nicht nur das: Kocher hat sich Ende März auch gegen die EU-Mindestlohnrichtlinie ausgesprochen und argumentiert, dass dadurch in nationale, gut funktionierende Kollektivvertragssysteme eingegriffen werden könnte. Oliver Röpke, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und Leiter des ÖGB-Büros in Brüssel, sieht dieses Risiko nicht: „Das würde bei uns nur relativ wenig ändern. Wir sehen kaum Gefahren für das österreichische Kollektivvertragssystem.” Österreich würde vielmehr davon profitieren, wenn in Osteuropa die Löhne steigen und die Lohndumping-Gefahr abnehme, so der Experte.
Die EU-Kommission hat im Oktober 2020 einen Richtlinienvorschlag vorgelegt, mit dem sie unionsweit angemessene Mindestlöhne für ArbeitnehmerInnen schaffen will. Dabei geht es nicht um einen bestimmten, für alle Länder gleich hohen Mindestlohn, sondern um das Ziel, dass GeringverdienerInnen überall in der EU mindestens 50 Prozent des Durchschnittslohns oder 60 Prozent des sogenannten Medianlohns im eigenen Land bekommen. Die EU hat im Bereich der Lohnfindung aber keine Kompetenzen, die Richtlinie hat daher einen appellativen Charakter. Wenn die Richtlinie beschlossen würde, dann müssten EU-Staaten mit weniger als 70 Prozent Abdeckung einen Aktionsplan erstellen, um die KV-Abdeckung zu erhöhen. Österreich wäre davon nicht betroffen, die Kollektivvertragsabdeckung liegt hierzulande bei 98 Prozent.
oegb.at hat sich weiter Argumente angesehen, warum die Menschen höhere Löhne und Gehälter verdienen und warum sie überdies sinnvoll für alle sind.
1. Von Vollzeitarbeit muss man leben können
Die Frage der Mindestlöhne und -gehälter ist nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine moralische. Als Gewerkschaft sagen wir klar: Mit Vollzeitarbeit muss man auch genug zum Leben verdienen. Jede Arbeit muss uns mindestens zehn Euro in der Stunde wert sein. Das bedeutet bei Vollzeitbeschäftigung 1.700 Euro brutto im Monat – und das 14-mal im Jahr.
2. Unternehmen können sich höhere Löhne und Gehälter leisten
Die Gewinne der großen Unternehmen, Konzerne, Aktionäre und Vermögenden steigen. Natürlich kommt es auf einzelne Unternehmen an und aufgrund der Coronakrise haben es viele gerade nicht leicht. Aber: Der Anteil der Löhne und Gehälter am gesamten Volkseinkommen – die sogenannte Lohnquote – geht mit Unterbrechungen seit 25 Jahren zurück. Nur in der Wirtschaftskrise nach dem Finanzcrash 2008 bzw. der Phase niedrigen Wachstums ab 2012 ist sie gestiegen. Die Gewinne hingegen steigen kontinuierlich.
Die Lohnquote ist die Messgröße, mit der berechnet wird, wie Einkommen verteilt ist. Sie misst den Anteil, den Löhne und Gehälter am Volkseinkommen haben. Demgegenüber steht die Gewinnquote. Sie gibt an, wie groß der Anteil von Kapitalgewinnen und selbstständigen Einkommen am Volkseinkommen ist.
3. Unternehmen profitieren von höherer Kaufkraft
Löhne und Gehälter sind zwar auch Kosten für die Unternehmen. Andererseits sind Löhne und Gehälter Einkommen für die ArbeitnehmerInnen und bestimmen damit deren Konsumnachfrage. Beim unteren Einkommensdrittel wandern 80 Prozent der zusätzlichen Einkünfte sofort in den Konsum. Das wiederum kurbelt die Wirtschaft an. Aus demselben Grund würde auch eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes von 55 auf 70 Prozent vom letzten Nettoeinkommen – wie vom ÖGB gefordert – einen wesentlichen Beitrag zur Ankurbelung der Wirtschaft beitragen und Menschen vor Verarmung schützen.
Mindestlöhne sorgen also nicht dafür, dass die Arbeitslosigkeit steigt. Im Gegenteil: Wenn Mindestlöhne erhöht werden, entstehen auch Arbeitsplätze.
4. Durch höhere Mindestlöhne entstehen auch Arbeitsplätze
Höhere Mindestlöhne schützen vor Armut und steigern die Kaufkraft. Mindestlöhne führen klar nachweisbar zu höheren Löhnen im Niedriglohnbereich, haben aber einen sehr schwachen bzw. keinen Effekt auf die Anzahl der Beschäftigten. Mindestlöhne sorgen also nicht dafür, dass die Arbeitslosigkeit steigt. Im Gegenteil, Arbeitsplätze entstehen auch, wenn Mindestlöhne erhöht werden. Das zeigen die Erfahrungen aus vielen Ländern, darunter die USA, Großbritannien, Portugal, Deutschland und Tschechien.
5. Unternehmen werden nicht ins Ausland abwandern
Die betroffenen Branchen können nicht abwandern. Wenn man sich anschaut, welche Branchen hauptsächlich Niedriglöhne zahlen, wird klar: Die können gar nicht abwandern, weil sie überwiegend im Dienstleistungssektor zu finden sind und in Österreich bleiben werden, weil hier ihre KundInnen sind. Beispiele sind TaxifahrerInnen, FußpflegerInnen, FriseurInnen oder Beschäftigte in Pflege- und Kureinrichtungen.
In Österreich gibt es 4,3 Millionen Erwerbstätige.
Jede/r Dritte ist atypisch beschäftigt. Die Hälfte der Frauen arbeitet Teilzeit.
Die Erwerbs-Einkommen machen einen immer kleineren Anteil am Volkseinkommen aus. In den letzten 25 Jahren ist die Lohnquote von 74,5 auf 68,2 Prozent gesunken.
Die Gründe sind atypische Dienstverhältnisse, schlechte Entlohnung (unbezahlte Überstunden, schlechte Einstufung, Ausgliederungen) und Arbeitslosigkeit.
Demgegenüber steigen die Gewinnquote und die Dividenden von Aktionären.