Eure Betriebsräte
"Betriebsratsarbeit ähnelt der eines Unfallchirurgen"
Sie hätte Prinzessin sein sollen, Betriebsrätin wurde sie. Wie es dazu kam und welche Herausforderungen Jutta Neulinger meistern musste.
Jutta, du stammst aus einer Unternehmerfamilie. Wie kam es dazu, dass du dich als Interessensvertreterin auf betrieblicher Ebene engagierst?
Jutta Neulinger: Das ist eher zufällig passiert. Als ich 2005 als gelernte Bürokauffrau im Sekretariat der Geschäftsführung von TTI meinen Job antrat, gab es keinen Betriebsrat. Und ehrlich gesagt hatte auch ich bis dahin gar keine Berührungspunkte mit der Gewerkschaft. 2009 stieß Klaus Mayerhofer, heutiger Betriebsratsvorsitzender, zu TTI. Er kommt aus einer Gewerkschaftsfamilie und allen war klar, dass er einen Betriebsrat gründen will. Relativ rasch ist er an mich herangetreten, ob ich mir vorstellen könnte als seine Stellvertreterin zu kandidieren. Kurz danach später war ich schon Betriebsrätin und seine Stellvertreterin.
Und deine Familie? Wie überrascht waren sie über diesen Schritt?
Neulinger: Ich war nie das Prinzeschen, das sich meine Eltern wünschten. Mir waren Jeans und Turnschuhe immer lieber. Wenn mir meine Eltern etwas angeschafft haben, machte ich meistens das Gegenteil. Wenn mir etwas nicht passte, dann sagte ich das auch laut. Überrascht waren sie also nicht wirklich, denn ich war eigentlich immer die Gewerkschafterin innerhalb der Familie.
Nicht jeder akzeptierte damals eine Frau als Betriebsrätin. Ich wurde teilweise beschimpft und ignoriert.
Klingt so, als wärst du die geborene Betriebsrätin.
Neulinger: Nun, zwei Jahre lange übte ich meinen Job im Sekretariat und die Funktion als Betriebsrätin in Doppelfunktion aus. Das waren lange, anstrengende Arbeitstage, Entspannung kaum möglich. Fast immer nahm ich die Betriebsratsarbeit mit nachhause und erledigte diese in meiner Freizeit. Schon damals war ich bereit, mich beruflich zu verändern. Aber als Frau aus einem Zeitarbeitsunternehmen war ich nicht immer und überall gerne gesehen.
Wie meinst du das?
Neulinger: Nicht jeder akzeptierte damals eine Frau als Betriebsrätin. Ich wurde teilweise beschimpft und ignoriert. ArbeitnehmerInnen lehnten es ab, von mir vertreten zu werden. Aber ich habe nicht aufgegeben, nach zwölf Jahren harter Arbeit kann ich behaupten: Die KollegInnen kennen mich jetzt und ich habe mir ihren Respekt erarbeitet.
Jetzt, wo das Vertrauen und der Respekt da sind, mit welchen Problemen wenden sie sich an dich?
Neulinger: Die Betriebsratsarbeit ähnelt der eines Unfallchirurgen – täglich hat man eine neue Überraschung auf dem Tisch liegen. Manchmal ist es etwas ganz Kompliziertes, manchmal etwas ganz Einfaches, aber immer etwas Anderes. ZeitarbeiterInnen beschweren sind zum Beispiel über fehlerhafte Lohnzettel oder über fehlende Zulagen, die das Stammpersonal aber bekommt. Sehr emotional wird es vor allem dann, wenn jemand kurz vor der Delogierung steht, nicht mehr weiterweiß oder große private Probleme hat, die sich auf das Arbeitsleben auswirken.
Das hört sich nicht gut an. Wie kannst du in solchen Fällen unterstützen?
Neulinger: Oft ist es nicht wichtig, wer hilft, sondern, dass geholfen wird. Ob ich das persönlich bin oder jemand anderer spielt keine Rolle. In erster Linie muss man vor allem ein guter Zuhörer sein. Inzwischen habe ich mir auch ein sehr gutes Netzwerk aufgebaut, und weiß, wen ich anrufen kann oder wo ich mich informieren kann.
Viele meinen, wir sind Sklaventreiber - was absoluter Unsinn ist. Ich sehe die Zeitarbeit als ein Sprungbrett für eine Fixbeschäftigung oder als Einstieg in die Arbeitswelt.
Du bist seit mehr als zehn Jahren Betriebsrätin, sitzt in verschiedenen Gremien und nimmst an Verhandlungen zum Kollektivvertrag der Arbeitskräfteüberlassung teil. Wie würdest du den Umgang zwischen den VertreterInnen der ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber beschreiben?
Neulinger: Von meiner ersten Kollektivvertragsverhandlung, kurz nach der Gründung des Betriebsrates, kam ich mit einem Branchenschock zurück. Gemeinsam mit mir waren nur noch zwei weitere Frauen anwesend, und es ging sehr respektlos zu. Aber in den letzten zehn Jahren hat sich viel verändert. Keine cholerischen Arbeitgeber mehr, die nur laut sind. Der Umgang ist viel wertschätzender und respektvoller geworden. Ich würde sagen, man begegnet sich jetzt auf Augenhöhe.
Zeitarbeit oder Leiharbeit – für viele haben diese Begriffe einen negativen Beigeschmack. Mit welchen Vorwürfen siehst du dich als Betriebsrätin einer Zeitarbeitsfirma oft konfrontiert?
Neulinger: Viele meinen wir sind Sklaventreiber, was absoluter Unsinn ist. Ich sehe die Zeitarbeit als ein Sprungbrett für eine Fixbeschäftigung oder einen Einstieg in die Arbeitswelt in Österreich. Denn es gibt nach wie vor Unternehmen, die Beschäftigte nicht fix einstellen wollen. Schlagen wir das vor, dann werden wir nur belächelt. Wobei ich schon sagen muss, dass der Fachkräftemangel der letzten Jahre schon einiges verändert hat.
Bei Sprachproblemen helfen wir uns oft mit Händen und Füßen! Und das funktioniert auch ganz gut!
Viele ZeitarbeiterInnen haben Migrationshintergrund und sind der deutschen Sprache nicht mächtig. Wie überwindet ihr die sprachlichen Barrieren?
Neulinger: Wir betreuen österreichweit insgesamt 2.200 KollegInnen aus mehr als 50 verschiedenen Herkunftsländern. Das ist ein gewaltiges Sprachengemisch. Meine Kollegin spricht auch Türkisch und sie unterstützt mich zum Beispiel in diesen Fällen. Weiters gibt es Werbefolder der Produktionsgewerkschaft in mehreren Sprachen, die darüber informieren, wo man sich Hilfe holen kann. Aber ganz allgemein gilt: Der persönliche Kontakt ist immer am besten – da helfen wir uns mit Händen und Füßen. Und das funktioniert auch ganz gut.
Was sagst du einer jungen Kollegin, die als Betriebsrat Karriere machen will?
Neulinger: „Schaue dir das erst einmal an und entscheide dann!“ würde ich sagen. Auf jeden Fall muss man jemand sein, der gerne unter Menschen ist, mit ihnen spricht, ihnen zuhört und ihre Sorgen und Probleme ernst nimmt. Aber es ist nicht nur das, es braucht viel mehr. In vielen Themen muss man sattelfest sein, das heißt sich weiterbilden, lesen und informieren. Auch diverse gewerkschaftliche Weiterbildungen sollte man auf alle Fälle absolvieren - denn nur so kann man diese Funktion wirklich gut ausüben. Learning by doing – und immer das Beste für die ArbeitnehmerInnen herausholen.