Mitbestimmung im Betrieb
„Viele Behinderungsarten sind nicht auf den ersten Blick sichtbar“
Wie es Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt geht, erzählt Herbert Valentan, Behindertenvertrauensperson bei REWE
Herbert Valentan, geboren 1966, ist seit 35 Jahren bei Billa beschäftigt. Seit 2013 vertritt er als Betriebsrat die Interessen von Mitarbeiter:innen mit Behinderung bei REWE Dienstleistung. Vier Jahre später wurde er zur Behindertenvertrauensperson für die gesamte REWE Group Österreich gewählt, zu der Unternehmen wie BILLA, PENNY und BIPA gehören. In seiner Rolle setzt er sich täglich für die Anliegen und Rechte von Mitarbeiter:innen mit Behinderung ein und kämpft gegen Vorurteile und Barrieren im Arbeitsalltag. Im Interview gibt Valentan Einblicke in seine Arbeit, die Herausforderungen und Erfolge bei der Integration von Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt sowie seine Wünsche für eine inklusive Zukunft.
Was hat dich motiviert, die Aufgabe als Behindertenvertrauensperson zu übernehmen?
Als meine chronische Erkrankung im Jahr 2001 entdeckt wurde, musste ich mich mühsam durchfragen, welche beruflichen Konsequenzen das für mich hat. Diese wertvollen Informationen wollte ich nicht für mich behalten, sondern an Kolleginnen und Kollegen in ähnlichen Situationen weitergeben.
Welche Aufgaben hast du als Behindertenvertrauensperson täglich zu bewältigen?
Zu meinen Aufgaben gehört es unter anderem, den Kontakt zur Arbeitsmedizin herzustellen und bei Bedarf externe Partner:innen einzubinden. Ich arbeite daran, Vorurteile abzubauen und weise Kolleginnen und Kollegen auf Fördermöglichkeiten hin. Zudem unterstütze ich sie bei der Umgestaltung des Arbeitsplatzes sowie bei technischen oder organisatorischen Problemen. Auf Wunsch von Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern führen wir bei Unstimmigkeiten auch Gespräche zwischen Beschäftigten und dem Führungspersonal, um gemeinsam Lösungen zu finden.
Die angespannte Personalsituation im Handel ist für Beschäftigte mit Beeinträchtigung viel stressiger.
Mit welchen Anliegen wenden sich die Beschäftigten an dich?
Das ist sehr vielfältig. Das Hauptthema ist derzeit die angespannte Personalsituation im Handel, die für Mitarbeiter:innen mit Beeinträchtigung oft mit doppelt so viel Stress verbunden ist.
Auf welche Barrieren stoßen Menschen mit Behinderungen im Einzelhandel?
Die Barrieren im Einzelhandel sind vielfältig und hängen stark von der jeweiligen Behinderung ab. Beispielsweise benötigt ein kleinwüchsiger Mensch eine Steighilfe, während ein Mitarbeiter mit Lernschwierigkeiten Arbeitsschritte mehrfach wiederholen muss. Hinzu kommen oft überforderte Kundinnen bzw. Kunden oder Mitarbeiter:innen, die unsicher im Umgang mit Menschen mit Behinderung sind. Grundsätzlich lassen sich diese Hürden aber leicht überwinden, wenn der Wille und manchmal auch der Mut vorhanden sind. Besonders wichtig ist zu beachten, dass viele Behinderungsarten nicht auf den ersten Blick sichtbar sind.
Wie werden diese Hürden überwunden?
Wenn Mitarbeiter:innen aus gesundheitlichen Gründen ihre aktuelle Aufgabe nicht mehr bewältigen können, suchen wir nach einer geeigneten Jobalternative innerhalb der Filiale oder des gesamten Konzerns. So konnten bereits viele durch einen internen Wechsel ihren Arbeitsplatz behalten. Bei Bedarf organisieren wir über das NEBA-Betriebsservice eine Arbeitsassistenz oder ein Jobcoaching, um unser Team bestmöglich zu unterstützen und zu beraten.
Gibt es spezielle Programme oder Initiativen im Unternehmen, um Menschen mit Behinderung zu unterstützen?
Wir bieten mehrere unterstützende Programme an, darunter eine Betriebsvereinbarung, die Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern mit einem Feststellbescheid zusätzliche Urlaubstage gewährt – ab 50 Prozent Behinderungsgrad drei Tage und ab 70 Prozent vier Tage. Zudem profitieren Führungskräfte der REWE Group von speziellen Vorteilen, wenn sie Menschen mit Behinderung einstellen. Die einzelnen Handelsfirmen setzen darüber hinaus auf viele weitere Maßnahmen, wie die Sensibilisierung von Führungskräften, die Durchführung von Inklusionstagen und Initiativen zur Aufnahme von Auszubildenden mit Behinderung.
Welche Maßnahmen werden ergriffen, um sicherzustellen, dass der Arbeitsplatz für Menschen mit Behinderung zugänglich und barrierefrei ist?
Wenn Anpassungsmaßnahmen erforderlich sind, leiten wir diese umgehend an die entsprechenden Stellen weiter und setzen uns aktiv für ihre Umsetzung ein. Das funktioniert recht gut in Zusammenarbeit mit unserer Diversity-Managerin, der Technischen Abteilung und dem Sozialministeriumservice.
Wie gehen Kolleginnen und Kollegen mit Beschäftigten mit Behinderung um?
Unter den Kolleginnen und Kollegen gibt es in der Regel keine größeren Schwierigkeiten, da Menschen mit Behinderung oft besonders motiviert sind. Eventuelle Probleme sind meist zwischenmenschlicher Natur und lassen sich schnell lösen. Wir bieten bei Bedarf Sensibilisierungstrainings an, um ein besseres Verständnis zu fördern, insbesondere für Behinderungsarten, die besondere Herausforderungen mit sich bringen können.
Leider gibt es noch immer Menschen, die kein Verständnis für Beschäftigte mit Beeinträchtigungen zeigen. Hier ist ein Umdenken in der Gesellschaft dringend notwendig.
Und wie verhalten sich Kundinnen und Kunden?
Wir erhalten oft positives Feedback von unserer Kundschaft, doch bedauerlicherweise gibt es auch solche, die kein Verständnis zeigen und dies auch unseren Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern gegenüber zum Ausdruck bringen. Hier ist ein Umdenken in der Gesellschaft dringend erforderlich.
Kannst du ein Beispiel für eine erfolgreiche Integration einer Mitarbeiterin bzw. eines Mitarbeiters mit Behinderung nennen?
Ein paar Beispiele: Ein Kollege mit fünf Prozent Restsehvermögen ist als Regalbetreuer tätig, ein weiterer Kollege mit Asperger-Syndrom ist ebenfalls bei uns beschäftigt, und wir haben sogar eine eigene Schicht im Lager, die von gehörlosen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besetzt wird. Diese Beispiele zeigen nur einen kleinen Teil der Vielfalt von Kolleginnen und Kollegen mit Beeinträchtigungen bei der REWE Group Österreich, in der fast 1.000 Mitarbeiter:innen in verschiedenen Bereichen arbeiten. Die Bereitstellung notwendiger Hilfsmittel ist entscheidend für ihre Arbeit, und hier erhalten wir Unterstützung von verschiedenen Organisationen, wie dem Blindenverband und Witaf.
Welche weiteren Schritte würdest du dir von der Unternehmensführung und der Gesellschaft wünschen, um die Arbeitsbedingungen für Menschen mit Behinderung weiter zu verbessern?
Von der Unternehmensleitung erhoffe ich mir, dass sie uns weiterhin tatkräftig unterstützt und das Thema Arbeiten mit Behinderung im Unternehmen weiter fördert. Von der Gesellschaft wünsche ich mir mehr Respekt gegenüber den Beschäftigten im Handel, ob mit oder ohne Behinderung. Jeder sollte sich bewusst sein, dass niemand vor einem Schicksalsschlag gefeit ist, der ihn selbst zu einem Menschen mit Behinderung machen könnte. Daher mein Appell: Behandelt jeden Menschen so, wie ihr selbst behandelt werden möchtet - mit mehr Respekt, denn das würde uns allen zugutekommen!
Zudem möchte ich betonen: Es gibt für jede:n eine passende Arbeit, aber nicht jede Tätigkeit ist für jede:n geeignet – und damit spreche ich nicht nur von Menschen mit Behinderung. Unser Ziel sollte es sein, den Menschen mit all seinen Stärken und Schwächen in den Mittelpunkt zu stellen – und nicht seine Behinderung.