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Arbeitsverfassungsgesetz Buch
Das ArbVG ist ein wichtiger Meilenstein der österreichischen Sozialpolitik und brachte eine nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen, des Arbeitsschutzes und gewichtige Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte. ÖGB Archiv

Gewerkschaftsgeschichte

50 Jahre Arbeitsverfassungsgesetz in Österreich

Vor 50 Jahren trat mit dem Arbeitsverfassungsgesetz eines der bedeutendsten sozialpolitischen Gesetze der Zweiten Republik in Kraft. Es brachte eine maßgebliche Erweiterung der sozialen, personellen und wirtschaftlichen Mitsprache und Mitbestimmung durch den Betriebsrat

Als mit 1. Juli 1974 das Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) in Österreich in Kraft trat, ging die jahrzehntelange Forderung des ÖGB nach einer Kodifikation des Arbeitsrechts in Erfüllung. Im ArbVG wurden drei Gesetze miteinander verbunden, die Errungenschaften der Interessensvertretung der Arbeitnehmer*innen widerspiegeln und deren Wurzeln in die Anfangszeit der österreichischen Demokratie der Ersten Republik zurückreichen: das Betriebsrätegesetz (1919), das Kollektivvertragsgesetz (1947) und das Jugendvertrauensrätegesetz (JVRG, 1972).

Damit war das ArbVG ein wichtiger Meilenstein der österreichischen Sozialpolitik und brachte eine nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen, des Arbeitsschutzes und gewichtige Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte. Seine Entstehungsgeschichte ist eng verknüpft mit dem Wandel im politischen System in Österreich und dem gesellschaftlichen Umbruch der 1960er- und 1970er-Jahre.

Arbeitgeber verhindern Vereinheitlichung in den 1960ern

Sozialminister Anton Proksch gab Anfang der 1960er-Jahre einen Anstoß in Richtung Vereinheitlichung und Reform des Arbeitsrechts. Mit Oswin Martinek und Walter Schwarz beauftragte er zwei führende Juristen und Arbeitsrechtswissenschaftler mit der Konzeption legistischer Grundlagen für einen Arbeitsrechtskodex (Cerny 2014). Im Jahr 1960 wurde der erste Teilentwurf über das Individualarbeitsrecht, 1962 der zweite Teilentwurf über das kollektive Arbeitsrecht veröffentlicht und in Fachkreisen mit viel Anerkennung begutachtet. Jedoch stießen diese Entwürfe bei Arbeitgeber-Verbänden auf heftige Widerstände, weshalb ein Realisierung Anfang der 1960er-Jahre scheiterte.

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Sozialministerin Rehor bringt Kodifikation wieder auf den Weg

Unter Sozialministerin Grete Rehor, der ersten Bundesministerin Österreichs, kam 1967 wieder Schwung in die Kodifikationsbestrebungen. Im Nationalrat wurde nach einer einstimmigen Entschließung eine Kodifikationskommission im Sozialministerium eingesetzt. Die Kommission bestand aus Vertreterinnen und Vertretern der zuständigen Ministerien, der Wissenschaft und der Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Verbände und hatte die „Vorbereitung einer sachgerechten Kodifikation des Arbeitsrechts“ zum Ziel (ÖGB-Rednerdienst 1973/5).

Zwei Jahre später legte Ministerin Rehor mit dem Entwurf eines Bundesgesetzes über die kollektive Rechtsgestaltung im Arbeitsrecht ein erstes Ergebnis der Kommission vor. Wegen unzureichend geklärter Fragen zum Betriebsverfassungsrechts wurde es jedoch vorerst zurückgestellt. In der Folge bekam die Kommission 1969 den Auftrag, ihre Beratungen über das gesamte Arbeitsverfassungsrecht auszuweiten, doch es sollte noch fünf Jahre dauern, bis das ArbVG in Kraft trat.

Wichtige Gesetze unter Kreisky und Häusler

Das Jahr 1971 markierte einen bedeutenden Wendepunkt und eine Neuordnung der politischen Verhältnisse in Österreich. Im Sommer wurde unter der Regierung Kreisky I eine Novelle zum Betriebsrätegesetz vom Nationalrat beschlossen, bei der das Mitwirkungsrecht des Betriebsrates, ein Kündigungsschutz von Betriebsratsmitgliedern und ein gesetzlicher Anspruch auf Bildungsfreistellung gesetzlich verankert wurden.

Ende 1971 wurde das Betriebsrätegesetz novelliert und Mitte 1972 erhielten mit dem Jugendvertrauensrätegesetz die Jugendvertreter*innen erstmals gesetzliche Mitsprache in Betrieben.

Bei Neuwahlen am 10. Oktober 1971 erreichte die SPÖ unter Bruno Kreisky die absolute Mehrheit und bildete die erste sozialdemokratische Alleinregierung der Zweiten Republik. Mit Rudolf Häusler wurde der Vorsitzende der Angestelltengewerkschaft GPA und Vizepräsident des ÖGB auch im Kabinett Kreisky II Sozialminister und Vizekanzler. Ihm war die schleunige Umsetzung des Arbeitsverfassungsgesetzes ein wichtiges Anliegen. In seiner Funktion als Sozialminister setzte er zwei wichtige Gesetzesinitiativen, die im späteren ArbVG berücksichtigt wurden: Ende 1971 wurde das Betriebsrätegesetz novelliert und Mitte 1972 erhielten mit dem Jugendvertrauensrätegesetz die Jugendvertreter*innen erstmals gesetzliche Mitsprache in Betrieben.

Sozialpartner erarbeiten schließlich Konsens

Im Dezember 1972 wurde der Entwurf für das neue Arbeitsverfassungsgesetz im Sozialministerium zur Begutachtung vorgelegt. Grundlage für den neuen Entwurf bildeten die Ergebnisse der Kodifikationskommission, Expertinnen- bzw. Experten-Entwürfe, das überarbeitete Betriebsverfassungsrecht und das Mitbestimmungsprogramm des ÖGB, welches beim 7. Bundeskongress des ÖGB im September 1971 beschlossen wurde. Doch auch der neue Entwurf stieß auf heftigen Widerstand bei Arbeitgeberorganisationen, die sich vehement gegen das Beiziehungs- und Zutrittsrecht zu den Betrieben durch die AK und den ÖGB widersetzten. Die Verhandlungen drohten deshalb mehrmals zu scheitern.

Obwohl die SPÖ mit der Mehrheit im Parlament den Entwurf alleine beschließen hätte können, setzte sie auf die Sozialpartnerschaft, der in der Entstehungsgeschichte des ArbVG eine besondere Rolle zukommt. In einem Gipfelgespräch konnten ÖGB-Präsident Anton Benya und Wirtschaftskammerpräsident Rudolf Sallinger einen Konsens finden und alle Hindernisse aus dem Weg räumen. Am 14. Dezember 1973 wurde eine Beschlussfassung im Nationalrat verabschiedet und damit „das wohl bedeutsamste arbeitsrechtliche Gesetzesvorhaben“ auf den Weg gebracht (ÖGB-Rednerdienst 1974/1), das mit 1. Juli 1974 in Kraft trat.

ÖGB Präsident Anton Benya
Anton Benya, ÖGB-Präsident von 1963-1987 ÖGB Archiv

 

Quellen:

  • Josef Cerny „40 Jahre Arbeitsverfassungsgesetz“ in: Klein, Christoph; Moser, Rudolf (Hg.) (2014) Das Recht der Arbeit. Sonderheft Oktober 2014 Nr. 353, Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes GmbH Wien.
  • ÖGB-Rednerdienst 1973/5: Das neue Arbeitsverfassungsgesetz. Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes GmbH Wien.
  • ÖGB-Rednerdienst 1974/1: Das Arbeitsverfassungsgesetz – der erste Teil der Arbeitsrechtskodifikation. Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes GmbH Wien.