Historisch
Sieben Jahrzehnte ÖGB-Frauen
Das „verdammte Weibsvolk“ auf dem Weg zur Gleichberechtigung
Zehn Frauen leitete(n) seit dem Jahr 1945 die ÖGB-Frauenabteilung. Die Geschichte ihrer Errungenschaften gleicht einem Hürdenlauf mit schweren Rucksäcken voller Forderungen zur Verbesserung des Lebens erwerbstätiger Frauen. Die Hürden bestanden und bestehen immer noch aus alten Vorurteilen und konservativen Frauenbildern; dass sie sich nur für Politik interessieren würden, weil sie ihre eigentliche Bestimmung als Mutter verfehlt hätten oder, dass das „verdammte Weibsvolk“ lieber bei ihren Kochlöffeln bleiben sollte als politische Ämter oder Karrieren anzustreben.
Hürdenlauf
Als im Sommer 1945 die erste Vorsitzende, Wilhelmine Moik, die Arbeit aufnahm, konnte sie zwar schon auf Erfolge zurückblicken, aber vor ihr lag eine lange To-Do-Liste: Den Aufbau von innergewerkschaftlichen Strukturen zur Frauenvertretung, den Erhalt des Rechts auf Erwerbsarbeit der Frauen, die Durchsetzung der 44-Stunden-Woche für Frauen und zahlreiche frauenpolitisch wichtige Gesetze.
In ihrer Periode verabschiedete das Parlament das Kinderbeihilfengesetz (1949), das Heimarbeitsgesetz (1954), das Mutterschutzgesetz (1957 und den bezahlten Karenzurlaub (1960).
Doch viele Forderungen blieben offen, wie die Abschaffung der Frauenlöhne in den Kollektivverträgen oder die Verbesserung der bestehenden Gesetze. Dies nahm ihre Nachfolgerin, Rosa Weber auf und während ihrer vierjährigen Amtszeit wurden die Familienbeihilfen und die Frühpensionen erhöht.
Vizepräsidentin
Eine große Hürde wurde im Jahr 1975 mit der Reform des Familienrechts genommen. Neben zahlreichen wichtigen Errungenschaften, wurde u. a. der Mann als Oberhaupt der Familie abgeschafft und Ehefrauen konnten nun selbst entscheiden, ob sie berufstätig sein wollen.
Eine der zentralen Forderungen der ÖGB-Frauen war das Funktionärinnen auch innergewerkschaftlich mehr Mitsprachrecht erhalten. Es brauchte viel Überzeugungsarbeit, bis im Jahr 1979, Maria Metzker, als erste Frau Vizepräsidentin wurde.
Sie erhielt auch ein wichtiges Werkzeug zur Abschaffung der Frauenlöhne in den Kollektivverträgen, das im Jahr 1979 verabschiedete Gleichbehandlungsgesetz. Trotzdem blieb die Einkommensschere weit offen. Dies war nur eine der Aufgaben von Metzkers Nachfolgerin, Hilde Seiler.
50 Diskriminierungen
In Seilers Amtszeit verabschiedete der Nationalrat u. a. das frauenpolitisch wichtige Gesetz: Eltern-Karenzurlaubsgesetz (1990). Aber der Verfassungsgerichtshof veröffentlichte auch die Erkenntnis, dass die geschlechtsspezifische Regelung des Pensionsanfallsalters dem verfassungsrechtlich verankerten Gleichheitsgrundsatz widerspräche. Gleichzeitig empfahl er aber auch bei der Neuregelung, lange Übergangsfristen zu setzen.
Seilers Nachfolgerin, Irmgard Schmidleithner übernahm die Aufgabe, die bestehenden Diskriminierungen zu erfassen, einen Maßnahmenkatalog zu erarbeiten und Verbündete beim Kampf zu finden – eine davon war die erste Frauenministerin Österreichs, Johanna Dohnal.
Die Gesamtschau der Ungerechtigkeiten umfasste schließlich 50 Punkte. Die UnternehmerInnen antworteten darauf mit „Ihr seid wahnsinnig, diese Forderungen können wir nicht gutheißen“. Immer wieder stockten die Verhandlungen, also schickten die ÖGB-Frauen täglich 200 Pakete, deren Inhalt die Forderungen waren, an die Bundeswirtschaftskammer. Schließlich gelang es nach Marathonsitzungen im Oktober 1992 das Gleichbehandlungspaket zu vereinbaren. Rund 15 Gesetze wurden novelliert und die Anhebung des Pensionsantrittsalters der Frauen auf das Jahr 2024 verschoben.
Mitten in die Verhandlungen platzte aber auch ein Entscheid des Europäischen Gerichtshofs. Das Frauennachtarbeitsverbot in Österreich widerspräche der EU-Gleichbehandlungsrichtlinie. Also arbeiteten die ÖGB-Frauen die Rahmenbedingungen für ein geschlechterneutrales Nachtarbeitsgesetz aus. Auf gesetzlicher Basis gelangen zwar nur geringe Verbesserungen, aber in einigen Kollektivverträgen wurden die Schwächen des Gesetzes ausgebessert.
Konservative Frauenpolitik
Mit dem Antritt der schwarz-blauen Regierung, begann die Zeit der sehr konservativen Frauenpolitik. In rasantem Tempo schuf die Koalition Errungenschaften der Frauenbewegung ab. Schmidleithners Nachfolgerin, Renate Csörgits, wies unentwegt auf die hohe Frauenarbeitslosigkeit, den Anstieg Frauen in Teilzeit hin, wehrte sich gegen im Frauenblock bei der Demonstration gegen die geplante Pensionsreform und startete zahlreiche Aktionen gegen sexuelle Belästigung und zur Schließung der Einkommensschere. Aus ihrer Zeit stammt der Slogan: „Wenn es ein Mädchen wird, nennen wir es Einkommensunterschied“.
Quotenfrauen
Innergewerkschaftlich waren die ÖGB-Frauen erfolgreich. Nachdem seit dem Jahr 1979 die Frauenvorsitzende auch ÖGB-Vizepräsidentin war, machte der ÖGB im Jahr 2006 einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung Chancengleichheit. In den Statuten wurde verankert, dass Frauen – gemäß ihrem Anteil an Mitgliedern – in allen Gremien des ÖGB vertreten sein müssen. Csörgits Nachfolgerin, Brigitte Ruprecht war eine Quotenfrau und setze sich dafür ein, dass der ÖGB „weiblicher“ wurde und führte den heute noch erfolgreichen Frauenpolitischen Lehrgang ein.
In Ruprechts Funktionsperiode verwandelten sich zahlreiche Forderungen der ÖGB-Frauen in Gesetzestexte wie etwa der 25prozentige Mehrarbeitszuschlag für Teilzeitbeschäftigte (2008), das einkommensabhängige Kindergeld (2010), die Einkommensberichte (2011). Offen blieb die Einkommensschere und Forderungen wie das Papamonat, 1.500 Euro Mindestlohn und eine Frauenquote in Aufsichtsräten.
1.500 Euro
Ruprecht gab diese und auch den Kampf gegen die ÖVP-Forderung zur vorzeitigen Anhebung des Frauenpensionsantrittsalters an ihre Nachfolgerin Sabine Oberhauser weiter. Sie sagte dazu: „Solange es die Gleichberechtigung nicht gibt, gehen Frauen früher in Pension“. Im September 2014 wurde sie Gesundheitsministerin, Renate Anderl übernahm den Vorsitz der ÖGB-Frauen und sie sagt, dass es einer der größten Erfolge der Gewerkschaftsfrauen war, den ÖVP-Plan zu verhindern.
Dabei ist ihnen noch vieles mehr gelungen: die Abwendung der von der WKÖ geforderten Sonntagsöffnung von Geschäften, die Verankerung des Mindestlohns von 1.500 Euro in vielen Kollektivverträgen sowie zahlreiche Verbesserungen bei bestehenden Gesetzen und die Umsetzung alter Forderungen: Frauenquoten in Aufsichtsräten (2017) oder die Abschaffung des Partnereinkommens bei der Notstandshilfe (2018).
Corona
Ende April 2018 bekam Bundeskanzler Sebastian Kurz eine neue Gegenspielerin: Renate Anderl wurde Arbeiterkammerpräsidentin. Als ÖGB-Frauenvorsitzende folgte ihr Korinna Schumann. Und im Mai ging Ruprechts Forderung: der ÖGB muss weiblicher werden, zumindest teilweise in Erfüllung. Susanne Hofer wurde als erste Frau Vorsitzende der Gewerkschaftsjugend.
In den ersten Monaten von Schumanns Tätigkeit wurden zwei langjährige Forderungen gesetzlich verankert: der Rechtsanspruch auf das Papamonat und die Anrechnung der Karenzzeit auf dienstzeitabhängige Zahlungen – und dann kam die Corona-Pandemie.
Reaktionäres Frauenbild
Schumann sagt, dass gerade Frauen während des Lockdowns vor großen Problemen standen und die Ungleichheiten mit einem Schlag verschärft wurden: Frauen schupften während des Home-Office auch noch die Kinderbetreuung, den Haushalt und das Homeschooling. Es wurde sichtbar, dass gerade Frauen in schlechtbezahlten, aber systemrelevanten Berufen arbeiten, und auch wie Tief das veraltete und konservative, fast reaktionäres Frauen- und Familienbild noch verankert ist.
Die Gewerkschaftsfrauen haben aber schon immer für die Rechte der arbeitenden Frauen gekämpft und den Rucksack voller Forderungen und Herausforderungen geschultert und über alle Hürden hinweg getragen – solange bis er leichter wurde, aus Forderungen Gesetze oder kollektivvertragliche Regelungen wurden.