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Gesundheitssystem

SV-Reform

Wolfgang Katzian, Ingrid Reischl und Alexander Biach am Wort

Die ÖVP/FPÖ-Regierung baut die Sozialversicherung um: Die 21 Träger werden auf fünf reduziert, der Hauptverband zu einem Dachverband und die Arbeitgeber bekommen mehr Macht. „ÖGB Aktuell“ hat in der aktuellen Ausgabe bei Wolfgang Katzian, ÖGB-Präsident, Ingrid Reischl, WGKK-Obfrau, und Alexander Biach, Vorsitzender des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger nachgefragt, was Ihre größten Kritikpunkte am neuen Sozialversicherungsgesetz sind.

Was sind Ihre größten Kritikpunkte am neuen Sozialversicherungsgesetz?

Wolfgang Katzian: Unser Ziel ist die bestmögliche PatientInnenversorgung – und die ist mit diesem Gesetz nicht gegeben. Jede Angleichung der Leistungen der unterschiedlichen Krankenkassen wird schwieriger oder unmöglich. Was stattdessen kommt, ist die Drei-Klassen-Medizin. Die ArbeitnehmerInnen werden entmachtet: In der Kasse, wo nur sie selbst und ihre Verwandten versichert sind, bekommen die Unternehmer die Hälfte der Stimmen. Was die Regierung vorgelegt hat, ist in weiten Teilen verfassungswidrig. Ein Husch-Pfusch-Gesetz.

Ingrid Reischl: Es ist erstaunlich und bezeichnend, dass die Regierung bei einem derart kritisierten Entwurf bis hin zum Rechnungshof, die Begutachtungsphase nur für kosmetische Änderungen genutzt hat. Es geht hier nicht um die Sache, sondern rein um die Machtverschiebung im System - zulasten der ArbeitnehmerInnen. Mit der geplanten Reform wird eine Drei-Klassen-Medizin etabliert. Ganz oben stehen die PolitikerInnen und BeamtInnen mit den besten Leistungen, gefolgt von den Selbstständigen und zuletzt die unterste Klasse mit rund sieben Millionen Menschen in Österreich, die künftig in der Österreichischen Gesundheitskasse versichert sind. Zu dieser Gruppe zählen ArbeitnehmerInnen, PensionistInnen und deren Angehörige – und die Schwächsten in unserer Gesellschaft wie Arbeitslose, Flüchtlinge oder Mindestsicherungsbezieher. Einen fairen Ausgleich innerhalb dieser drei Klassen gibt es nicht. Statt der versprochenen Harmonisierung der Leistungen werden die Unterschiede zwischen den Gruppen einzementiert.

Alexander Biach: Die Sozialversicherung steht zu Strukturreformen und hat Handlungsbereitschaft bewiesen. Der vorliegende Gesetzesentwurf braucht in wesentlichen Punkten noch Adaptierungen, damit die Reform auch wirkt und eine echte Effizienzsteigerung bringt. Für die Versicherten muss all das positiv wirksam werden und darf keinesfalls zu Verschlechterungen der Betreuung oder der Leistungserbringung führen – das ist unser wichtigster Auftrag. Ich bin auch überzeugt, dass es weiterhin eine regionale Verankerung der Sozialversicherung braucht. Die Bundesländer brauchen echte Kompetenzen zur Verhandlung und Entscheidung. Nur eine kluge Kompetenzverteilung zwischen der Bundes- und der Landesebene kann das sicherstellen.

Wie werden sich die Einsparungen auf die Versicherten auswirken?

Katzian: Die geplanten Zusammenlegungen werden eine Menge Geld kosten. Geld, von dem nicht klar ist, wo und wie es eingespart werden kann. Für die Beschäftigten soll sich nichts ändern, die Regierung verspricht, niemanden zu kündigen - das haben die Gewerkschaften erreicht. Die Verwaltungskosten können kaum gesenkt werden, weil unsere Sozialversicherung extrem effizient arbeitet, wie alle Studien und internationalen Vergleiche beweisen. Es liegt also auf der Hand, dass der Sparstift bei den Leistungen angesetzt wird. Es drohen längere Wartezeiten, Selbstbehalte und Privatisierungen.

Reischl: Wir stehen vor einem Mammutprojekt: Neun Unternehmen sollen in weniger als einem Jahr zwangsfusioniert werden. Die Krankenkassen werden in naher Zukunft also vor allem mit sich selbst beschäftigt sein. Das muss sich zwangsläufig auf die Servicequalität auswirken. Dazu kommt, dass die Fusionskosten bisher nicht schlüssig gegenfinanziert sind. ExpertInnen gehen von einem Aufwand in dreistelliger Millionenhöhe aus. Daher rechne ich mit Leistungsverschlechterungen und/oder neuen Selbstbehalten für die Versicherten.

Biach: Der Gesetzesentwurf bringt für die geplante ÖGK spürbare finanzielle Einschnitte und Kosten. Wichtig wird sein, eine ehrliche Finanzdebatte zu führen. Die Strukturreform muss Mittel freimachen für eine anschließende Gesundheitsreform.

Die Beitragsprüfung soll zukünftig die Finanz übernehmen. Welche Nachteile sehen Sie?

Katzian: Die Beitragsprüfung ist bei der Sozialversicherung deswegen in guten Händen, weil hier das sogenannte Anspruchslohnprinzip gilt. Geprüft wird, ob die Versicherten das bekommen, was ihnen laut Kollektivvertrag zusteht. Davon abgesehen haben die Krankenkassen in der Prüfung von Lohn- und Gehaltsansprüchen jahrzehntelange Erfahrung. Diese Kompetenz geht bei einer Beitragseinhebung durch die Finanz verloren. Weicht man von diesem Prinzip ab, werden die Ansprüche auf Versicherungsleistungen reduziert: damit ist dem Sozialbetrug Tür und Tor geöffnet!

Reischl: Es ist im Sinne der ArbeitnehmerInnen aber auch der Wirtschaft, eine möglichst effiziente Beitragsprüfung zu haben. Für die Beschäftigten geht es dabei um korrekte Arbeitsbedingungen – von der Arbeitszeit über die Entlohnung bis hin zur Einhaltung des richtigen Kollektivvertrages und der Pensionsansprüche. Dieses breite Spektrum decken nur die PrüferInnen der Sozialversicherung ab. Sie haben in den vergangenen Jahren um hunderte Millionen Euro mehr an Nachzahlungen für die Versicherten herausgeholt, als die Finanz. Die ExpertInnen der Sozialversicherung prüfen dabei grundsätzlich die vergangenen fünf Jahre - die Finanz hingegen in der Regel nur die letzten drei Jahre. Unterm Strich bringt die geplante Neuregelung also eine Verschlechterung im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping.

Biach: Die Verlagerung der Beitragsprüfung weg von der Sozialversicherung hin zur Finanz wird neben den negativen finanziellen Auswirkungen vor allem einen Mehraufwand für Unternehmen bringen, anstatt einer Vereinfachung.

Warum ist eine paritätische Besetzung bei der neuen ÖGK bedenklich?

Katzian: Weil sie sich wie so vieles in dieser angeblichen Reform nicht sachlich argumentieren lässt. Die Bundesregierung will die VertreterInnen der Arbeitgeber als Entscheidungsträger massiv aufwerten, obwohl ihr Anteil an den SV-Beiträgen nicht einmal ein Drittel ausmacht. Nichtversicherte entscheiden dann also über Versicherte im Interesse der Wirtschaft, die dann natürlich ihre oft geforderten Kürzungen im Gesundheitswesen viel leichter durchsetzen kann. Fakt ist, dass die Wirtschaftskammer seit Jahren Selbstbehalte für alle Versicherten fordert. Dieses und weitere Anliegen zum Nachteil der ArbeitnehmerInnen werden also viel leichter durchsetzbar sein.

Reischl: Die paritätische Besetzung ist deshalb bedenklich, weil sie in keiner Weise gerechtfertigt ist: Die VertreterInnen der ArbeitgeberInnen bekommen Macht in einer Krankenkasse, in der sie gar nicht versichert sind. Bei den Beitragseinnahmen macht der DienstgeberInnen-Anteil  knapp 30 Prozent aus. Eine paritätische Besetzung in den Gremien lässt sich sachlich also nicht argumentieren. Fakt ist, dass die Wirtschaftskammer seit Jahren Selbstbehalte für alle Versicherten fordert. Diesem Anliegen wird nun der Weg geebnet.

Biach: Vor allem das geplante Rotationsprinzip bei allen neuen Spitzenfunktionen in der ÖGK, aber auch im Dachverband wäre ein schwerer Systemfehler. Die Entscheidungsträger können sich nicht in die Themen einarbeiten und es ist nicht mehr möglich, langfristige Perspektiven zu verfolgen. Es gibt ja auch in der Wirtschaft kein Unternehmen, bei dem der Chef alle paar Monate ausgewechselt wird – so kann das nicht gut gehen. Wenn das genau so umgesetzt wird, wäre der Dachverband kaum mehr in der Lage, die übergreifenden Interessen der Versicherungen für Arbeitnehmer, Selbstständige und öffentlich Bedienstete ausreichend zu koordinieren.

Alle infos zur Zerschlagung der Sozialversicherung: www.oegb.at/sozialversicherung