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Joaquin Phoenix als Arthur Fleck
Arthur Fleck, der mit seinen zwei Identitäten immer wieder in Konflikt steht Warner Bros / Everett Collection / picturedesk.com

ÖGB-Filmkritik

Was wir vom neuen Joker-Film lernen können

Der Kinohit „Joker: Folie à Deux" zeigt drastisch, welche Folgen das Fehlen von psychotherapeutischer Betreuung haben kann. Auch Österreich kämpft mit der Versorgungslücke

Mit „Joker: Folie à Deux“ ist derzeit einer der wohl meisterwarteten Filme des Jahres 2024 in unseren Kinos – im zweiten Teil der Filmsaga kehrt Arthur Fleck, besser bekannt als Joker, auf die große Leinwand zurück. Wir haben uns den Film angeschaut und uns gefragt: Könnte das Schicksal von Arthur Fleck so auch in Österreich möglich sein? 

Unser Fazit vorweg: Vieles, was in dem neuen Streifen zu sehen ist, könnte leider durchaus auch im realen Österreich von heute passieren. Weite Teile des Films drehen sich nämlich (wie auch schon im ersten Teil 2019) um psychische Gesundheit – die Zuschauer:innen erleben auf der Leinwand, was passieren kann, wenn Menschen jene Unterstützung nicht bekommen, die sie dringend bräuchten. Was der Joker – schon viel früher – gebraucht hätte, wären leistbare Therapieangebote bzw. kostenlose Unterstützung, sprich: Psychotherapie oder psychologische Behandlung auf Kassenkosten ohne lange Wartezeiten. Und genau das benötigen auch Betroffene in Österreich.

Arthur Flecks Leidensweg 

Zurück zur Geschichte des Jokers: Schon als Kind wird Arthur Fleck von den eigenen Eltern misshandelt, im Erwachsenenalter ergeht es ihm nicht viel besser. Seine Mitmenschen meiden ihn und lachen ihn aus, einige Zeit verbringt er in einer psychiatrischen Einrichtung. Seine psychiatrische Betreuung und die dringend benötigten Medikamente werden aufgrund von Einsparungen im Gesundheitssystem gestrichen, Arthur verliert seinen Job und landet schlussendlich nach dem Mord an fünf Menschen im Gefängnis. Auch hier wird er nicht als Mensch Arthur Fleck gesehen; für die meisten – auch für die Vollzugsbeamten – ist er vor allem der Joker, der Witze erzählen und die Insassen zum Lachen bringen soll. Einfacher wird Flecks Situation dadurch nicht, er hat schon längst alle Hoffnung verloren.

Die Auswirkungen der Krisen aus den letzten Jahren haben den Anstieg psychischer Belastungengen und Erkrankungen noch beschleunigt

Claudia Neumayer-Stickler, ÖGB-Expertin

Psychische Erkrankungen: Ein wachsendes Problem in Österreich 

Mit seinen psychischen Problemen steht Arthur Fleck schließlich allein da, mit seiner doppelten Identität ist er immer wieder konfrontiert. Auch wenn das Beispiel zugegebenermaßen ein extremes ist, zeigt es deutlich, dass psychische Erkrankungen viel ernster genommen werden müssen – auch in Österreich. „Bei uns steigt die Zahl der Menschen mit psychischen Belastungen und psychischen Erkrankungen kontinuierlich an und die Auswirkungen der Krisen aus den letzten Jahren haben diesen Anstieg noch beschleunigt“, erklärt ÖGB-Expertin Claudia Neumayer-Stickler, die deshalb mehr Behandlungs- und Therapieplätze auf Kassenkosten fordert. Zudem fühlen sich laut neuer Sora-Umfrage viele Menschen in Österreich einsam – eine weitere Parallele zum Film. Um Betroffenen wirklich zu helfen, müssen laut ÖGB-Expertin außerdem die psychosozialen Versorgungseinrichtungen zur kostenlosen Prävention und Behandlung von psychischen Erkrankungen weiter ausgebaut und auch Menschen mit Diskriminierungserfahrungen dort besser versorgt werden. Gerade im ländlichen Bereich gibt es hier noch besonders viele Defizite.

Zahlen oder warten 

Wer heute in Österreich seine psychische Erkrankung behandeln lassen will, muss oft entweder warten oder zahlen. Nach wie vor gibt es zu wenige Psychotherapieplätze und Behandlungsmöglichkeiten auf Kassenkosten. So erging es auch Arthur Fleck in Gotham City. Abseits von Hollywood-Filmen ist das natürlich beinharte Realität für tatsächlich Betroffene – vor allem für jene, die sich eine Behandlung finanziell nicht leisten können. Sie müssen dann nicht nur um ihre (psychische) Gesundheit fürchten, sondern auch um ihren Job, also um ihre Existenzgrundlage. Denn nur wer gesund ist, ist auf Dauer arbeits- und leistungsfähig.

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Noch immer ein Tabuthema 

Da psychische Erkrankungen im Vergleich zu anderen Krankheiten in Österreich nach wie vor nicht den Stellenwert haben, den sie bräuchten, sprechen die wenigsten Arbeitnehmer:innen offen darüber. Zu groß ist die Angst über eine Vorverurteilung – auch im Job. Im schlimmsten Fall kann es – ähnlich wie bei Arthur Fleck – dazu führen, dass Verträge nicht mehr verlängert oder Praktika beendet werden. Unbegründet ist die Angst nicht, denn auch Expertinnen und Experten sagen: Psychische Krankheit und Arbeitslosigkeit hängen eng zusammen. Außerdem sind Arbeitslosigkeit und Armut wesentliche Risikofaktoren für psychische Störungen. Diese treten Arbeitslosen wesentlich häufiger auf als bei Erwerbstätigen. Laut ÖGB-Expertin Neumayer-Stickler führt die Tabuisierung der Erkrankung nicht nur zu mangelnder Behandlung der konkret Betroffenen, sondern auch zu einer generell unzureichenden Versorgung. Und genau aus diesem Grund fordert der ÖGB viel mehr öffentliche Sensibilisierungskampagnen.  

Was bleibt: Österreich ist bei weitem nicht Gotham City, in dem Arthur Fleck seinem Schicksal hilflos ausgeliefert ist. Die Geschichte von Arthur Fleck und seinem Werdegang zum Joker ist eine fiktive Erzählung, die stark überzeichnete, extreme Umstände zeigt. Aber: Auch in Österreich brauchen Betroffene mehr Unterstützung, um ein stabiles und erfülltes Leben führen zu können.

Hier findest du Hilfe in Notsituationen

Telefonseelsorge
Rund um die Uhr
T: 142 (keine Vorwahl)
www.telefonseelsorge.at

Psychosozialer Dienst (PSD) Wien
Sorgenhotline Wien
T: 01/4000-53000
www.psd-wien.at

ÖGB Chancen Nutzen Büro
T: 01/534 44 - 39592
chancen.nutzen@oegb.at