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Wer Fachkräfte will, muss sie auch ausbilden. Mit Freiwilligkeit kommen wir aber nicht weiter. Betriebe müssen daher in die Pflicht genommen werden und die Lehrlingsausbildung weiterentwickelt und modernisiert werden. Atelier 211 AdobeStock

Lehrstellen in Österreich

Warum es in Österreich immer weniger Lehrlinge gibt

Wer Fachkräfte will, muss ausbilden. Doch Betriebe ziehen sich immer mehr aus der Lehrlingsausbildung zurück. Wer das ändern will, darf nicht auf Freiwilligkeit und Vernunft hoffen, sondern muss die Lehrlingsausbildung modernisieren

Viele Unternehmer:innen sagen, sie würden keine geeigneten Bewerber:innen für Lehrstellen finden. Es scheitere an den schulischen Leistungen, an den sogenannten Basisqualifikationen und viele Jugendliche würden ohnehin gar nicht Vollzeit arbeiten wollen. Andere schieben den massiven Rückgang an Lehrlingen auf die demografische Entwicklung. Doch das sind billige Ausreden, um sich vor der Ausbildungspflicht zu drücken. Die Konsequenz: Österreich hat immer weniger Lehrlinge, während der Fachkräftebedarf zunimmt. 

12.313 Lehrlinge in zehn Jahren verloren 

Dass es in Österreich immer mehr Ältere und weniger Junge gibt, ist Tatsache. Dadurch stehen weniger Jugendliche für eine Lehre zur Verfügung. Mit dieser demografischen Entwicklung ist zwar ein Teil des Rückganges an Lehrlingen erklärbar, aber nicht alles. Während die Zahl der 15-Jährigen zwischen 2013 und 2023 um 1,4 Prozent abnahm, ist die Zahl der Lehrlinge im ersten Lehrjahr im selben Zeitraum um 4,2 Prozent gesunken. In absoluten Zahlen bedeutet das, dass es im Jahr 2023 in Österreich 12.313 Lehrlinge weniger gab als zehn Jahre zuvor. 

Grafik: Rückgang der Lehrlinge in den letzten 10 Jahren
Die Zahl der Lehrlinge ging in den letzten 10 Jahren um mehr als 12.000 zurück.
Grafik: Vergleich Rückgang 15-Jähriger und Lehrlinge im 1. Lehrjahr
Die Zahl der Lehrlinge im 1. Lehrjahr ist um 4,2 % gesunken, jene der 15-Jährigen nur um 1,4 %.

Mehr Lehrlinge in der IT – massiver Rückgang im Tourismus 

Sieht man sich die Entwicklung in den verschiedenen Lehrberufen an, zeigen sich große Unterschiede. Nicht alle Branchen leiden unter Lehrlingsschwund. Im Bereich Informatik/EDV/Kommunikationstechnik etwa ist die Zahl der Lehrlinge von 1.833 Lehrlinge (2013) auf 6.645 Lehrlinge im Jahr 2023 angestiegen – ein sattes Plus von über 26 Prozent. Im Vergleich fielen die Zahlen im selben Zeitraum im Bereich Tourismus/Gastgewerbe/Hotellerie von 10.786 auf 7.189, also um 33,4 Prozent. 

Das ist bemerkenswert, weil vor allem jene Branchen – wie beispielsweise der Tourismus –, die am lautesten nach Fachkräften rufen und Arbeitskräfte aus Drittstaaten fordern, auch jene sind, die sich überdurchschnittlich von der eigenen Fachkräfteausbildung verabschieden. 

Grafik Entwicklung der Zahl der Lehrlinge in drei großen Lehrberufsgruppen.
Nicht alle Lehrberufsgruppen verlieren Lehrlinge. Im IT-Bereich hat man es zum Beispiel geschafft, die Zahl der Lehrlinge in den letzten Jahren zu steigern, während Tourismus und Handel verloren haben.

Zahl der Lehrbetriebe geht seit Jahren zurück 

Auch die Zahl der Betriebe, die Lehrlinge ausbildet, ist seit Jahren rückläufig. Gab es 2013 noch 32.189 Ausbildungsbetriebe, waren es 2023 nur mehr 27.083 - das entspricht einem Minus von 15,9 Prozent. Auch hier werden als Ausreden die Demografie und die angeblich schlechten Basisqualifikationen der Bewerber:innen herangezogen. Tatsache ist aber, dass die Wirtschaft nach Fachkräften ruft, sich aber seit 2007 kontinuierlich aus der Lehrlingsausbildung zurückzieht. 

Umso unverständlicher ist dies vor dem Hintergrund, dass es umfangreiche Service- und Coachingangebote sowie finanzielle Förderungen gibt. Allein die betriebliche Lehrstellenförderung ist von 199,1 Millionen Euro im Jahr 2022 auf 270 Millionen Euro im Jahr 2023 und auf 280 Millionen Euro für 2024 angestiegen.

 

Jeder Betrieb, der will, kann auch ausbilden 

In den letzten Jahren hat sich die Lehrlingsausbildung von Klein- und Mittelbetrieben hin zu größeren Unternehmen verlagert. Was stimmt, ist, dass größere Betriebe mehr Möglichkeiten haben und aufgrund mehrerer Faktoren für Jugendliche attraktiver sind: etwa das Image der Betriebe, die Betreuung im Betrieb während der Ausbildung (eigene Ausbilder:innen und Lehrlingsbeauftragte), zusätzliche Qualifizierungen über das Berufsbild hinaus oder Prämien bei guten Leistungen. 

Jedoch zeigen einzelne Beispiele aus der Praxis, dass eine gute Lehrlingsausbildung durch entsprechendes Engagement auch in Klein- und Mittelbetrieben möglich ist. 

Lehrlingsausbildung weiterentwickeln und modernisieren 

Um zukünftig ausreichend Fachkräfte für die österreichische Wirtschaft zur Verfügung zu haben, sind im Lehrlingsbereich dringende Änderungen notwendig. Dazu braucht es zum Beispiel ein systematisches Qualitätsmanagement bei der Lehrlingsausbildung in den Betrieben, regelmäßige Schulungen für Ausbilder:innen oder regelmäßige Überprüfungen der Lehrbetriebe, bei denen kontrolliert wird, ob die Ausbildungsvoraussetzungen erfüllt werden. 

Damit sich noch mehr Jugendliche für eine Lehre begeistern, müssen jedenfalls die Rahmenbedingungen verbessert werden. Die Weiterverwendung nach Ende der Lehrzeit muss verlängert und die Probezeit verkürz werden; Vorbereitungskurse für die Lehrabschlussprüfung müssen ausgebaut werden bzw. statt einer großen Lehrabschlussprüfung am Schluss sollten verpflichtende Teilprüfungen oder Kompetenzchecks eingeführt werden. 

Freiwilligkeit bringt uns nicht weiter 

Leider haben die letzten Jahre gezeigt, dass es keinen Erfolg verspricht, auf die Vernunft und Freiwilligkeit der Betriebe zu setzen. Und auch eine finanzielle Förderung mit hunderten Millionen Euro nach dem Gießkannenprinzip hat die negative Entwicklung nicht gestoppt. Sinnvolle Konzepte, um die Lehrlingsausbildung anzukurbeln, liegen auf alle Fälle auf dem Tisch: So schlägt etwa der ÖGB einen Aus- und Weiterbildungsfonds vor, der durch Arbeitgeber:innenbeiträge von Betrieben, die nicht ausbilden, finanziert würde.  

Geht es um die Ausbildung der Fachkräfte von morgen, zeigt sich eines: Darauf zu vertrauen, dass Unternehmen, es selbst in die Hand nehmen, ist zu wenig. Wir brauchen, geeignete Mittel, sie in die Pflicht zu nehmen, damit die Jugendlichen den besten Start in ihre berufliche Zukunft bekommen. 

 

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