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ÖGB-Chefökonomin Helene Schuberth
ÖGB-Expertin Helene Schuberth weiß: Nicht alle werden durch die Krise ärmer. Einige wenige werden unvorstellbar reich. ÖGB/Mandl

Interview

Kommt nach der Gier die Armut?

Werden wir alle ärmer? Nein, einige wenige werden unbeschreiblich reich, sagt Helene Schuberth, Leiterin des volkswirtschaftlichen Referats des ÖGB

Das Gespräch in voller Länge mit ÖGB-Wirtschaftsexpertin Helene Schubert zum Nachhören als Podcast.

In den vergangenen Monaten sind unsere Energiepreise explodiert. Schuld daran sind unter anderem Börsenspekulationen, die viele arm und einige wenige reich machen. Für ÖGB-Expertin Helene Schuberth ist klar: Der Staat muss in dieses System eingreifen.

Täglich hören wir, dass wir alle ärmer werden. Stimmt das?

Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Situation, das kann man nicht schönreden. Die stark gestiegenen Preise für die Energie, die wir importieren, führen sicherlich dazu, dass Österreich ärmer wird. Denn es fließt mehr Geld ins Ausland, um die höheren Preise der importierten Energie zu bezahlen. Was aber noch wichtiger ist: Sehr viel Geld wandert von den KonsumentInnen zu den Unternehmen. Dass wir alle ärmer werden, stimmt so nicht – einige wenige werden unvorstellbar reich.

Grundsätzlich gilt: Die Preiserhöhungen bei der Energie übertragen sich auf Güter und Dienstleistungen. Aber es gibt auch Unternehmen, die ihre Preise weitaus stärker ansteigen lassen, als das durch die gestiegenen Kosten gerechtfertigt wäre.

Es handelt sich auch um hausgemachte Inflation, die man schon längst hätte stoppen müssen. Man nennt es „Gier“-Inflation.

Es handelt sich auch um hausgemachte Inflation, die man schon längst hätte stoppen müssen. Man nennt es „Gier“-Inflation.

Warum können Energiepreise ungebremst durch die Decke gehen? 

Die Energiepreise steigen bereits seit Herbst 2021, unter anderem, weil damals schon Russland die Gaszufuhr nach Europa gedrosselt hat. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine stiegen dann die Energiepreise in astronomische Höhen. Aber der Energiemarkt ist auch von Spekulationen getrieben. Neben zwischenstaatlichen Verträgen, etwa mit der russischen Gazprom, wird Gas auch an Börsen gehandelt. Zahlreiche internationale Finanzinvestoren wie die Deutsche Bank handeln mit Gas. Bei Börsenspekulationen werden Knappheiten enorm verstärkt. Das treibt die Preise, und das gilt es zu unterbinden.

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Ist die Preisspirale unaufhaltbar oder können wir sie verhindern?

Als die EU Sanktionen gegen Russland beschlossen hat, hätte sie gleichzeitig einen Plan vorlegen müssen, der Bevölkerung und Wirtschaft schützt. Etwa eine gemeinsame Einkaufsplattform für Gas, das dann zu billigeren Preisen an die Länder weitergegeben hätte werden müssen. Man hätte sofort den Strom- vom Gaspreis entkoppeln müssen. Derzeit bestimmt das teuerste Kraftwerk den Strompreis. Diese sogenannte Merit Order hatte lange Zeit eine Berechtigung, weil dadurch erneuerbare Energieträger gefördert wurden. Aber derzeit ist das teuerste Kraftwerk das Gaskraftwerk – da ist es ja absurd, dass man so ein System aufrechterhält.

Die österreichische Politik muss alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Bevölkerung vor dem massiven Energiepreisanstieg zu schützen. Wir haben als ÖGB einen Energiepreisdeckel für Haushalte vorgeschlagen, der eine leistbare Grundversorgung nicht nur mit Strom, sondern auch mit Gas, Fernwärme und Heizsystemen wie zum Beispiel Wärmepumpen garantiert. Die Bundesregierung stellt nur eine Strompreisbremse in den Raum – dabei heizen 30 Prozent der österreichischen Haushalte mit Gas.* Was auch immer passiert: Es muss rasch passieren, weil manche Haushalte im Herbst und Winter eine Verdoppelung oder Verdreifachung ihrer Energierechnungen erwarten.

* Zu Redaktionsschluss waren von der Regierung nur preissenkende Maßnahmen für Strom angekündigt.

Ökonomin Helene Schuberth im Gespräch mit Redakteurin Alina Bachmayr-Heyda ELISABETH MANDL

Helene Schuberth war wirtschaftliche Beraterin eines Bundespräsidenten und eines Bundeskanzlers, Leiterin der Auslandsanalyseabteilung in der Österreichischen Nationalbank und lehrte an mehreren Universitäten. Die neue Leiterin des volkswirtschaftlichen Referats des ÖGB ist eine der Top-ExpertInnen für Verteilungspolitik, Inflation und Teuerung im Interview mit ÖGB-Redakteurin Alina Bachmayr-Heyda.

Darf der Staat in den Markt eingreifen?

Die drei Krisen des jungen 21. Jahrhunderts zeigen klar, dass wir einen starken Staat brauchen. Eine Lehre aus der Finanzkrise war, dass das Finanzsystem staatliche Regulierung braucht. Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig ein starker Sozialstaat und ein staatliches Gesundheitssystem sind. Die Energiekrise zeigt, dass die Privatisierung der Energieversorgung in der EU der falsche Weg war. In der Liberalisierungseuphorie der 1990er-Jahre versprach man günstigere Preise und eine effizientere Versorgung. Erfüllt wurden diese Versprechungen nicht.

Man kann die Grundversorgung der Bevölkerung nicht dem Börsengeschehen überlassen.

Frankreich hat erst den größten Energiekonzern verstaatlicht, unter anderem weil man gesehen hat, dass Unternehmen, die in erster Linie ihren Investoren verpflichtet sind, die Versorgungssicherheit der Menschen nicht garantieren können

Müssen wir zusehen, wie einige wenige unvorstellbar reich werden, während wir die Rechnung zahlen?

Das würde die Bevölkerung nicht akzeptieren. Die Übergewinne der Energiekonzerne werden in Österreich dieses Jahr auf ca. 4,2 Milliarden Euro geschätzt. Ohne eine faire Besteuerung der Krisengewinner, wie sie ÖGB und AK vorgeschlagen haben, zahlen die Krise die SteuerzahlerInnen  –  das trifft wiederum ArbeitnehmerInnen, PensionistInnen und KonsumentInnen, denn sie zahlen 80 Prozent aller Steuereinnahmen. Dazu kommt: Die Bundesregierung will die Körperschaftssteuer, also die Gewinnsteuer für Unternehmen, noch weiter senken. Das darf nicht passieren. Österreich ist zudem unter den OECD-Ländern Schlusslicht bei der Vermögensbesteuerung: Nur 1,3 Prozent des gesamten Steueraufkommens kommen aus Vermögen – im OECD-Schnitt sind es 5,5 Prozent. Man könnte einfach Verteilungsgerechtigkeit herstellen, indem man diese Steuerquellen anzapft, was der Wirtschaft nachweislich nicht schadet.

5 Milliarden Euro würde eine Übergewinnsteuer mit dem ÖGB&AK-Modell bis 2024 bringen. Profite von Energiekonzernen, die über dem Durchschnittsgewinn der Jahre 2019 bis 2021 liegen und die nicht in erneuerbare Energien investiert werden, würden dabei mit bis zu 90 Prozent besteuert.

Während die Einkommen der Beschäftigten real an Wert verlieren, tun Unternehmen alles, damit ihre Gewinne steigen. Kann man das unterbinden?

Unternehmen weiten im Windschatten der Inflation ihre Gewinne aus. In anderen Ländern wird das intensiv diskutiert. Nur in Österreich tut man so, als gäbe es dieses Phänomen nicht. Deswegen brauchen wir eine Anti-Teuerungskommission, die alle ungerechtfertigten Preisentwicklungen aufspürt und dann auch notfalls Preise festlegt, um die Gewinn-Preis-Spirale zu durchbrechen. 

Die Politik gibt derzeit gerne Tipps zum Energiesparen, etwa, einen Deckel auf das Nudelwasser zu geben. Wäre es nicht ihre Aufgabe, Entscheidungen zu treffen – auch wenn diese unpopulär sind?

Wir sehen derzeit eine unheilvolle Allianz von marktliberalen ÖkonomInnen und PolitikerInnen, die die Krise damit lösen wollen, einmalige Geldtransfers an Haushalte zu leisten. Die hohen Preise lässt man in der Hoffnung, das Konsumverhalten langfristig zu ändern, durchschlagen, weil man – so das Argument – ohnehin eine ökologische Transformation brauche. Das ist zynisch. Wir alle befürworten eine ökosoziale Transformation. Aber mit Schocktherapien haben wir selten gute Erfahrungen gemacht.

Wichtig ist auch: Je mehr Energie wir jetzt sparen, desto weniger wird es im Winter im Fall eines Gasstopps zu Produktionseinschränkungen kommen müssen. Es braucht einen Kraftakt, um diese Krise zu stemmen. Die Verantwortung auf Einzelne abzuschieben, ist der falsche Weg. Das wird die Krise nicht lösen.



Preise runter!

Das fordert der ÖGB: Wie wir schnell und effektiv Österreichs ArbeitnehmerInnen, Familien und PensionistInnen entlasten könnten.

Energie

Ein Energiepreisdeckel für Strom und Gas würde privaten Haushalten bis zu 1.100 Euro pro Jahr bringen. Finanzieren könnte man das mit einer Sondersteuer auf die Übergewinne der Unternehmen, die Gewinne auf Kosten der KonsumentInnen machen.

Mobilität

Eine Senkung der Steuern auf Treibstoff würde PendlerInnen und PensionistInnen, die auf das Auto angewiesen sind, um mehrere Hundert Euro entlasten. Der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und die Streichung der Mehrwertsteuer auf Öffi-Tickets würde den Umstieg vom Auto attraktiver machen.

Mehr Geld fürs Börserl 

Der Ausgleich der kalten Progression ist längst überfällig, kommt aber vor allem mittleren und höheren Einkommen zugute. Um kleine Einkommen zu entlasten, braucht es dringend eine armutsfeste Erhöhung etwa von Mindestsicherung und Mindestpension und die Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent des Letztverdiensts. 

Lebensmittel

Eine Streichung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel würde den Einkauf um zehn Prozent billiger machen. Dass Lebensmittelkonzerne diese Preissenkungen weitergeben, könnte eine Anti-Teuerungskommission kontrollieren, die bei Wucherpreisen direkt eingreift.

Wohnen

Auf Druck von ÖGB und AK wurden die Richtwertmieterhöhungen 2021 ausgesetzt. Dieses Jahr wurden sie aber wieder erhöht. Diese Mietsteigerung muss zurückgenommen werden! Eine gesetzliche Mietobergrenze für Wohnhäuser, die älter als 30 Jahre sind, würde MieterInnen enorm entlasten.

Geschlechtergerechtigkeit

Immer noch verdienen Frauen etwa  
20 Prozent weniger als Männer.  
Frauen sind also ungleich öfter von der massiven Teuerung bedroht und betroffen als Männer. Um Frauen vor Armut zu schützen, braucht es dringend wirksame Maßnahmen wie etwa das temporäre Streichen der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. 


Du willst mehr wissen? Warum das Arbeitslosengeld erhöht werden muss und was eine Reichensteuer bringen würde, erfährst du hier: