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Menschen in Georgien protestieren gegen die umstrittene Regierung. george - stock.adobe.com

Georgien: „Wir sind völlig isoliert“

Gewerkschafterin Liparteliani über die Auswirkungen der Staatskrise auf arbeitende Menschen und Gewerkschaften

Georgien kommt seit den manipulierten Parlamentswahlen im Oktober 2024 nicht zur Ruhe. Täglich gehen Menschen auf die Straßen, um gegen die herrschende Partei „Georgischer Traum“ zu protestieren. „Unser Land ist vollkommen isoliert“, beschreibt Raisa Liparteliani, Vizepräsidentin des Georgischen Gewerkschaftsbundes (GTUC) die Situation: „Aus vielen Ländern gibt es Sanktionen gegen die Politiker und Politikerinnen der Regierungspartei.“

Das führe aber nicht zu einem Umdenken der umstrittenen Regierenden, sondern zu noch mehr Repressalien gegen die Bürgerinnen und Bürger. Erst vor einigen Wochen wurde etwa ein neues Gesetz für die Polizei beschlossen, das den Exekutivorganen die Verhaftung von Menschen ermöglicht, wenn eine Straftat (z.B. eine Demonstration) möglich erscheint. Damit herrscht vollkommene Willkür, da jeder Demonstrant und jede Demonstrantin ohne Angaben von Gründen nun für 48 Stunden ohne Angaben von Gründen eingesperrt werden können.

Kritiker:innen werden via Gesetz mundtot gemacht

„Um die kritischen Stimmen im Öffentlichen Dienst zum Schweigen zu bringen, hat die Regierung auch ein Gesetz beschlossen, dass jeder Abteilungsleiter, jede Abteilunsgleiterin wie auch ihre Stellvertretungen jederzeit ohne Angaben eines Grundes gekündigt werden können“, berichtet Liparteliani: „Die Folgen sind verheerend, da diese brutale Vorgangsweise die Ministerien lähmt. Niemand wagt es mehr, sich öffentlich zu äußern. Kritische Lehrer:innen und andere Beamt:innen werden beobachtet, was eine Teilnahme an den Protesten zunehmend gefährlich macht. „Unglaublich, dass es möglich ist, unsere ohnedies kaum vorhandenen Arbeitnehmer:nnenrechte weiter zu reduzieren“, wie Lipartelani zynisch anmerkt.

Bisher galt Georgien als besonders europafreundlich, in Umfragen aus dem vergangen Jahr waren mehr als 90 Prozent der Bevölkerung für einen Beitritt zur Europäischen Union. Die Festlegung des Premierministers, den EU-Beitrittsprozess bis zumindest 2028 auf Eis zu legen, lässt die Menschen landesweit verzweifeln. Insgesamt ist Liparteliani skeptisch über die Entwicklung ihrer Heimat. Die Regierung agiere zunehmend undemokratisch und totalitär, die Oppositionspartei, allesamt neoliberal und gewerkschaftsfeindlich, sei kaum in der Lage Veränderungen herbeizuführen. 

„Gerade deswegen dürfen die Proteste nicht zu Ende gehen. Die Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft brauchen diese Unterstützung“, so der Appell Lipartelianis: „Gerade jetzt ist es wichtig, jeder Tag zählt.“

Das Onlinegespräch mit Raisa Lipartelani führte Marcus Strohmeier, Internationaler Sekretär des ÖGB