Gut zu wissen
Kollektivvertrag: Das musst du wissen
Warum brauchen wir Kollektivverträge und was regeln sie? Wir haben Antworten auf diese und weitere wichtige Fragen
98 Prozent aller Arbeitnehmer:innen in Österreich sind durch Kollektivverträge abgesichert – damit sind wir Weltspitze!
Doch wie wird ein Kollektivvertrag verhandelt? Kann ich ihn mir aussuchen? Was ist der Unterschied zwischen KV-Lohn und Ist-Lohn? Und was, wenn es bei Verhandlungen zu keinem Ergebnis kommt? Unser Arbeitsrechtsexperte Martin Müller hat die Antworten auf die brennendsten Fragen.
Der Betriebsrat sowie Gewerkschaften helfen, wenn Kollektivverträge nicht eingehalten werden!
1. Die wöchentliche und tägliche Normalarbeitszeit
2. Überstunden und deren Abgeltung sowie Zulagen für Wochenend- oder Feiertagsdienste
3. Einstufung und Vorrückungen im Gehaltsschema, Mindestentlohnung
4. Urlaubs- und Weihnachtsgeld
5. Aufwandsentschädigungen, Zulagen, Prämien
Was ist der Unterschied zwischen Arbeitsvertrag und Kollektivvertrag?
Der Kollektivvertrag legt die Spielregeln für eine gesamte Berufsbranche fest. Der Arbeitsvertrag ist hingegen ein individuell zusammengestellter Vertrag, der nur für dich persönlich gültig ist.
Das bedeutet, dass es bestimmte individuelle Arbeitsbedingungen für dich gibt und mit dir persönlich abgesprochen sind.
Der Arbeitsvertrag kann jedoch nie die Bedingungen aus dem Kollektivvertrag verschlechtern!
Wie kommen die Forderungen für die Verhandlungen zustande?
Die sogenannten Branchenanalysen, die Umsätze und Gewinne von Unternehmen auflisten, sind Grundlage für die geforderten Einkommenserhöhungen der Gewerkschaften. Zusätzlich bringen Betriebsräte rahmenrechtliche Verbesserungsvorschläge ein.
Klar ist: Kollektivvertragsverhandlungen sind Verhandlungen und nicht nur Wunschkonzert der einen oder anderen Seite.
Warum wird die rückwirkende Inflation (Benya-Formel) als Grundlage herangezogen?
Die Benya-Formel: Lohnsteigerung = Inflation + mittelfristiger gesamtwirtschaftlicher Produktivitätszuwachs
Verhandelt wird nicht über die mögliche Zukunft, sondern auf Basis gesicherter Daten, die die Preisentwicklung der vergangenen zwölf Monate heranziehen.
Diese Formel, die auf den ehemaligen ÖGB-Präsidenten Anton Benya zurückgeht, ist auch der beste Beweis dafür, dass die von manchen zitierte Lohn-Preis-Spirale NICHT existiert. (Mehr dazu auch in dieser Folge unseres Podcasts "Nachgehört / Vorgedacht".)
Die Löhne folgen den Preisen und nicht umgekehrt. Ist die Inflation sehr hoch, werden eventuelle Reallohnverluste bei den nächsten KV-Verhandlungen ausgeglichen.
Wie lange dauern Kollektivvertragsverhandlungen?
Das lässt sich im Vorhinein nicht sagen. Das ist abhängig vom Verhandlungsthema, der Zusammensetzung der Verhandlungsteams, den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Branche und den Forderungen, die auf dem Tisch liegen.
Eines ist jedoch fix: Je mehr Beschäftigte einer Branche Mitglied in ihrer Gewerkschaft sind, desto besser sind auch die Ergebnisse der Kollektivvertragsverhandlungen.
Wenn die Verhandlungen keine Ergebnisse bringen, beruft der Betriebsrat oft Betriebsversammlungen ein. Geht danach nichts weiter, können auch Streiks organisiert werden.
Sie sind allerdings das letzte Mittel, um die Forderungen der Arbeitnehmer:innen durchzusetzen.
Sind die Beträge im Kollektivvertrag brutto oder netto?
In der Regel sind die angegeben Löhne und Gehälter in Kollektivvertragen – sofern nicht anders vermerkt – brutto, also der Betrag vor Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen.
Was dann tatsächlich auf deinem Konto landet, ist dein Nettolohn bzw. dein Nettogehalt.
Was versteht man unter einem Kollektivvertrag?
Ein Kollektivvertrag (KV) ist eine Vereinbarung, die die Gewerkschaft jährlich für alle Arbeitnehmer:innen einer bestimmten Branche mit der Arbeitgeberseite (Wirtschaftskammer oder Arbeitgeberverband) aushandelt.
Die österreichischen Gewerkschaften schließen jährlich über 450 Kollektivverträge ab.
Warum brauche ich einen Kollektivvertrag?
Nur Kollektivverträge sorgen für höhere Löhne, Gehälter und faire Arbeitsbedingungen für alle.
In Österreich gibt es keine gesetzlichen Lohn- und Gehaltserhöhungen. Das gilt auch für das Urlaubs- und Weihnachtsgeld. All das erkämpfen die Gewerkschaften in den jährlichen Kollektivvertragsverhandlungen.
Bei der Arbeitszeit legt das Gesetz nur den Rahmen fest, regelt aber zum Beispiel nur teilweise, welche Zuschläge man für Schichtarbeit, Feiertagsarbeit, Überstunden oder Mehrarbeit bekommt.
Wer verhandelt den Kollektivvertrag?
In Österreich sind das Vertreter:innen der Arbeitgeber und der Beschäftigten. Aufseiten der Beschäftigten sind Betriebsratsmitglieder und Gewerkschafter:innen aus der Branche mit am Verhandlungstisch.
Die Arbeitgeberseite schickt Unternehmer:innen oder Manager:innen aus den betroffenen Betrieben und VertreterInnen der Wirtschaftskammer.
Den Kollektivvertrag kann man sich nicht aussuchen. Es gibt klare gesetzliche Regeln, welcher Kollektivvertrag für welchen Betrieb und welches Unternehmen gilt.
Wie komme ich zu meinem Kollektivvertrag?
Laut Gesetz muss der aktuelle Kollektivvertrag in jedem Betrieb zur Einsichtnahme aufliegen. Wo der Kollektivvertrag im Betrieb zu finden ist, steht im gesetzlich vorgeschriebenen Dienstzettel. Dort erfährt man auch, welcher Kollektivvertrag angewendet wird. Einblick in deinen Kollektivvertrag gibt es auch HIER.
Einige Branchen haben jedoch keinen Kollektivvertrag. Das sind z. B. Autovermietungen, Fitnesscenter, Vereine und Fonds, aber auch noch einige andere Branchen, sofern sie keinem Arbeitgeberverband angehören, der einen Kollektivvertrag abgeschlossen hat.
Welchen Kollektivvertrag habe ich?
Das kommt ganz drauf an, in welcher Branche du arbeitest. Entscheidend ist, welcher KV für deinen Arbeitgeber gilt.
Im Dienstzettel erfährt man, welcher Kollektivvertrag angewendet wird. Einblick in deinen Kollektivvertrag gibt es auch HIER.
Was sind die Forderungen bei Kollektivvertragsverhandlungen?
Ein wesentlicher Punkt ist, die Löhne und Gehälter für die Arbeitnehmer:innen zu erhöhen, um ihnen die Inflation und Produktivitätssteigerungen der Betriebe abzugelten. Gefordert wird in der Regel eine Erhöhung der KV-Löhne bzw. Gehälter und Ist-Löhne bzw. -Gehälter.
Aber es werden auch sogenannte rahmenrechtliche Regelungen verhandelt – z. B. Überstundenentgelte, Arbeitszeitverkürzung, zusätzliche freie Tage, etc.
Was ist der Unterschied zwischen KV-Lohn bzw. Gehalt und Ist-Lohn bzw. Gehalt?
KV-Lohn und -Gehalt ist gleichzusetzen mit den Mindestgehältern und -löhnen, die im jeweiligen Kollektivvertrag festgehalten sind und Gewerkschaften mit den Arbeitgebern verhandeln. Das ist damit das mindeste, das dir dein Arbeitgeber je nach Einstufung bezahlen muss.
Wenn der vereinbarte Lohn bzw. das vereinbarte Gehalt höher ist als der Kollektivvertrag es vorschreibt, heißt diese vereinbarte Bezahlung Ist-Lohn bzw. Ist-Gehalt.
Die Überzahlung bezeichnet die Differenz zwischen dem Ist-Lohn bzw. -Gehalt und dem kollektivvertraglichen Lohn bzw. Gehalt.
Bei Lohn- und Gehaltserhöhungen, die im Rahmen von Kollektivvertragsverhandlungen zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverbänden vereinbart werden, wird auch immer ausgemacht, ob und in welcher Höhe neben den KV-Löhnen und -Gehältern auch die Ist-Löhne und -Gehälter erhöht werden.
Wie viel verdient man mit Kollektivvertrag?
Das hängt von deiner Tätigkeit bzw. deiner Berufsbranche ab. Geregelt sind in Kollektivverträgen aber die Mindestlöhne und -gehälter einer Branche.
Die jährlichen Lohn- und Gehaltserhöhungen bzw. höhere Mindestlöhne und -gehälter verhandelt die Gewerkschaft für dich.
Arbeitgeber drohen bereits damit, Mitarbeiter:innen während der Dauer des Streiks bei der ÖGK abzumelden – ist das erlaubt?
Solche Ansagen dienen zur Einschüchterung der Arbeitnehmer:innen. Sollten Arbeitgeber ihr Mitarbeiter:innen tatsächlich bei der Krankenkasse abmelden, hätten sie auf alle Fälle noch sechs Wochen lang Anspruch auf Sachleistungen der Krankenversicherung (= Krankenbehandlung). Der Anspruch auf Krankengeld für neue Krankheitsfälle bleibt drei Wochen lang erhalten.
Darf mich der Arbeitgeber während des Streiks kündigen oder entlassen?
Eine Kündigung oder Entlassung wegen der Teilnahme an einem Streik ist rechtswidrig und muss vom Arbeitgeber letztendlich zurückgenommen werden. Sollte dir das passieren, wende dich an deine Gewerkschaft!
Stimmt es, dass ich während des Streiks keinen Lohn/kein Gehalt bekomme?
Prinzipiell ja. Der Arbeitgeber muss dich für die Zeit, in der du streikst, nicht bezahlen. ABER: Die Gewerkschaften versuchen Lohnfortzahlungen bei den Verhandlungen zu erreichen. Gelingt das nicht, gibt es eine finanzielle Streikunterstützung für Gewerkschaftsmitglieder. Die Streikunterstützung richtet sich nach der Dauer der Mitgliedschaft, dem jeweiligen Bruttogehalt, der individuellen Wochenarbeitszeit und der Streikstundenanzahl. Alle Gewerkschaftsmitglieder erhalten Unterstützung, auch jene, die im Zuge des Streiks beitreten.
Wie schaut es bei Leiharbeiter:innen aus? Dürfen sie mitstreiken? Können sie wegen des Streiks abgezogen werden?
Die Überlassung von Arbeitskräften in bestreikte Betriebe ist verboten. Sie werden also für die Zeit des Streiks zurückgestellt.
Im Sinne einer gelebten Solidarität können auch überlassene Arbeitnehmer:innen in den Betrieben mitstreiken. Dies ist so lange möglich, solange sie von ihrem Arbeitgeber, der Überlasserfirma, nicht abberufen werden.
Kann ich auch im Homeoffice oder auf Montage streiken?
Ja. Das Recht während eines Streiks die Arbeit einzustellen, ist nicht vom konkreten Arbeitsort oder vom konkreten Arbeitsplatz abhängig. Arbeitnehmer:innen müssen in dem Fall aber dem Arbeitgeber bekannt geben, dass sie sich am Streik beteiligen.
Warum die Sozialpartner mit einer anderen Inflationsrate verhandeln